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Archiv-Artikel

„Außergewöhnliche Maßnahmen“

Afrika beobachtet den Hype um Live 8 und G 8 mit einer Mischung aus Skepsis und Erwartung. Gewünscht werden effektive Hilfe in Krisensituationen und klares Engagement in Reformstaaten

BERLIN taz ■ Von den Live-8-Konzerten hat Seidou Bakari noch nie gehört. Der staatliche Koordinator für Hungerhilfe in Niger wies Ende letzter Woche lieber darauf hin, dass in seinem von Dürre und Heuschreckenplage gezeichneten Sahelstaat Kinder Gras essen, um nicht zu verhungern. „Wir haben im November um Hilfe gebeten, aber die Leute müssen wohl erst sterben, bevor die internationale Gemeinschaft davon Notiz nimmt“, schimpfte er.

Niger ist ein Paradebeispiel für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Diskussionen um mehr Afrikahilfe. Im zweitärmsten Land der Welt sind fast vier Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, vom Hunger betroffen. Dort drohe eine „unmittelbare Katastrophe“, erklärte vor zehn Tagen der UN-Experte Jean Ziegler. Aber ein UN-Hilfsappell für 16 Millionen Dollar habe nur 3,8 Millionen erbracht.

Der Nigerianer Femi Kuti, einer der prominentesten Musiker Afrikas, kritisiert die Live-8-Konzerte als „Zeitverschwendung“. Er sagte am Wochenende: „Afrika hat viele alte Führer, die ihre Ämter nicht aufgeben wollen. Sie haben unsere Schulden durch Korruption und Diebstahl in Milliardenhöhe getrieben. Und jetzt wollen sie mehr.“

Die drei Kernforderungen von Live 8 – mehr Entwicklungshilfe, Schuldenstreichung, Abbau von Handelsschranken (siehe Kasten) – sind zwar auch die Kernforderungen Afrikas, und die Afrikanische Union (AU) wird sie auf ihrem heute beginnenden Staatengipfel in Libyen offiziell aufstellen. Mit der Art, wie diese Themen in den reichen Ländern diskutiert werden, können afrikanische Beobachter allerdings wenig anfangen. Die Frage, ob Afrika mehr Entwicklungshilfe brauche, sei viel zu pauschal, kritisiert Wiseman Nkuhlu, Koordinator des von der Afrikanischen Union geführten panafrikanischen Entwicklungsprogramms Nepad (Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung), das seit 2002 offiziell von den G-8-Ländern unterstützt wird. „Unterschiedliche afrikanische Länder befinden sich in unterschiedlichen Lagen“, sagt er. „Manche Länder können eine Verdoppelung der Hilfe absorbieren und andere nicht.“

In leisen Worten nahm der Südafrikaner mit seiner Analyse letzte Woche in Berlin auf einer Pressekonferenz die Argumente der neben ihm sitzenden deutschen Afrika-Beauftragten Uschi Eid (Grüne) auseinander, die die Forderung nach einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe für Afrika insgesamt zurückgewiesen hatte. „Ich halte es für zentral, dass unsere Partner sich eindeutig auf die Seite der Länder stellen, die Fortschritte erzielen“, so Nkuhlu. Er sprach von über 20 Reformstaaten in Afrika – vor allem Ghana und Ruanda, die im Nepad-Programm zur gegenseitigen Evaluierung von Reformen am weitesten sind – und verlangte für solche Länder „drastische“ Erhöhungen der Hilfe. Nötig sei zudem, dass die Geberländer sich besser absprechen.

Auch die politische Dimension sollte nicht vernachlässigt werden, also der Umgang mit Afrikas Kriegen. Eine „vorhersehbare, langfristige Unterstützung auf Mehrjahresbasis für die Friedensarbeit der Afrikanischen Union“ müsse die „Priorität Nummer eins“ für den G-8-Gipfel sein, forderte Nkuhlu.

Aus afrikanischer Sicht ist Entwicklungshilfe ohnehin nur ein Teil der Lösung. „Hilfe ist das schwächste Glied in der Kette, denn mehr Hilfe ist sinnlos, wenn unfaire Handelsregeln und illegitime Schulden bleiben“, so der nigerianische Kommentator Tajudeen Abdulrahman. Auf ihrem heute beginnenden Staatengipfel in Libyen wird die AU einen kompletten Schuldenerlass für Afrika fordern.

Dies wird vor allem als Geste gewünscht, machte Kenias Planungsminister Peter Anyang Nyong’o letzte Woche auf einem Wirtschaftsforum in Berlin deutlich. „Politik hat viel mit Gefühl zu tun“, sagte er. „Die Menschen scheinen das Schuldenproblem mit dem Kopf zu verstehen, aber es muss auch eine Veränderung im Herzen geben. Wir treiben mit euch Handel in der Hoffnung, dass ihr unsere Güter kauft und wir daran Geld verdienen. Aber dann müssen wir euch dieses Geld als Schuldendienst zurückgeben. Also kommen wir nie zu einem Punkt, wo wir unsere Ressourcen nutzen können, um Armut zu bekämpfen. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten, und wir müssen außergewöhnliche Maßnahmen treffen, um einer außergewöhnlichen Lage zu begegnen.“ DOMINIC JOHNSON