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30 gute Händchen für die Kunst

Alle zwei Jahre fördert der Brockmann-Preis Kieler Künst­le­r:in­nen unter 35. In der Stadtgalerie Kiel stellen 15 der Kan­di­da­t:in­nen aus

Von Frank Keil

Auf irgendetwas wartet sie. Unruhig geht sie auf und ab. Setzt sich, steht wieder auf; nimmt einen Lappen und beginnt in der Küche zu putzen; setzt sich erneut auf einen Stuhl, schaut vor sich hin, fächelt sich Luft zu, es muss recht heiß zu sein. Langsam sind ihre Bewegungen, verzögert, zuweilen fahrig: Gedämpftes Licht fällt von draußen durch die verhüllten Fenster auf die Szenerie im Inneren.Naiwei Tians Großmutter ist dementiell erkrankt. Er hat sie in ihrer neuen, noch nicht recht eingelebten Wohnung besucht, die man ihr zugewiesen hat, nachdem das Haus, in dem sie zuvor viel Lebenszeit verbracht hat, abgerissen worden war, um einem Neubau Platz zu machen.

Wie es dort zuletzt ausschaute, hat Naiwei Tian gleichfalls mit der Kamera festgehalten: Die Wohnräume sind weitgehend ausgeräumt, Schutt und Abfall bedecken den Boden, das Ende steht bevor. Aufgeteilt wie eingefangen in seiner Zwei-Kanal-Installation „Meine Oma & Bei Oma Zuhause“: Abwechselnd schaut man in die Gegenwart, schaut in die Vergangenheit und eine ganz eigene Melancholie erfasst einen.

Naiwei Tian, der im südostchinesischen, am Meer liegenden Zhoushan ebenso wie in Kiel lebt und arbeitet und hier an der Muthesius seinen Master in Kommunikationsdesign absolviert hat, war einer der Kandidaten für den alle zwei Jahre zu vergebenden Kieler Gottfried-Brockmann-Preis für Bildende Kunst. Benannt ist er nach dem Künstler, aber auch langjährigen Kieler Kulturreferenten und dann Malerei-Professor Gottfried Brockmann (1903–1983).

Die Preissumme beträgt 5.000 Euro, man darf höchstens 35 Jahre alt sein, es ist ausdrücklich ein Förderpreis. Eine Jury lädt zum Wettbewerb ein, selbst bewerben kann man sich nicht.Diesmal wurden 32 Künst­le­r:in­nen angefragt, 15 von ihnen haben es dann in die raumfüllende Wettbewerbsausstellung in die Kieler Stadtgalerie geschafft. Und einer von ihnen – der Bildhauerei studierende Nikolai Renée Goldmann – ist dann der Brockmann-Preisträger geworden.

Goldmanns Arbeiten führen in die aktuelle, technisierte Welt, um sie skulptural zu untersuchen: Sei es, dass er einen zentnerschweren Stein aus dem Jura-Gebirge mit einem 3D-Drucker verkleinert reproduziert; sei es, dass er mit Schallwellen Wasserflächen in grafischen Mustern zum Schwingen bringt. Hier ist einer auf dem guten Weg, eine ganz eigene Bild- und Formsprache zu erproben.

Ist man so technisch wie medial angeregt und aufgeladen, bietet sich ein Kontrast an: die stillen Arbeiten von In Jung, die sich an der Muthesius neben Freier Kunst und Druckgrafik auch mit Keramik beschäftigt hat. Jung widmet sich unseren Körperöffnungen, unseren Hautpartien und bietet dafür skulpturale wie zeichnerische Exponate. So sprengt sie nicht nur entschieden das oft enge Korsett der Keramik (Tassen, Becher, vielleicht noch Vasen bis kleinere Skulpturen); sie belebt zugleich in der Art ihrer Präsentation das Oeuvre des Kunstkabinetts als Versammlung dialogischer Objekte, und das ist assoziativ ergiebig, schön anzusehen und körperlich berührend.

Darwins Hauptwerk „On the Origin auf Spaces“ wird von einem Zaun aus Bärchenwurst-Scheiben eingehegt

Denn viele der anderen Arbeiten leiden unter einer gewissen Gedankenschwere, der man nicht immer folgen mag, weil ihr allzu oft der erzählerische Anreiz fehlt: Melina Bigale etwa lässt Thuja-Bäume in einer streng geometrischen Anordnung von der Decke baumeln, dazu gesellt sich ein Video mit einer langsam kriechenden Schnecke vor einer Frucht. Juan M. Blanco schickt ein Ensemble aus geometrischen Utensilien vor, das einfach verschlüsselt bleibt. Jakob Braune wiederum scheint sich in einem lockeren Spiel von Ironie und Kunstzitaten zu verlieren: Etwa wenn Darwins Hauptwerk „On the Origin auf Spaces“, auf dem Boden stehend von einem Zaun aus Bärchenwurst-Scheiben eingehegt wird, wie sie entnervte Eltern dann ihren Kindern zuletzt doch kaufen.

Das sind alles hübsche Ideen, aber man vermisst auf Dauer einen gewissen Grundsinn.Den bietet wiederum Tian Wu, der nach einem Kunst-Studium in Shandong im vorletzten Jahr in die Freie-Kunst-Klasse an der Muthesius kam: Ihn beschäftigt die mögliche Universalität von Zeichensystemen wie den Gebärdensprachen, immer wieder widmet er sich dem Sujet der Hand. Er bietet Schnappschüsse von Bannern, die in seiner Heimat allüberall zum Durchhalten aufrufen, hat die leuchtend gelben Schriftzeichen auf rotem Stoff aus dem Chinesischen für uns übersetzt: „MISSING ONE PARTY, WILL NOT MAKE YOUR FAMILY FADE“, erfahren wir. Oder: „YOU DON’T LOVE MASKS, THE VIRUS LOVES YOU“.

Auffallen muss zuletzt noch eine raumfüllende Arbeit von Lilian Nachtigall, gerade 21 Jahre alt ist die angehende Künstlerin und damit nebenher die jüngste Brockmann-Anwerber:in, die es bislang gab: Sie hat ein Modell der Stadtgalerie gefertigt, in das sie das Atelier der Bildhauerklasse der Muthesius eingefasst hat. Das ist sehr schön gemacht, spielt geschickt mit dem Topos vom Bild im Bild nun als Raum im Raum. Aber dann – sozusagen: der Hammer! – kommen vier kleine, luftige Aquarelle hinzu, die einfach so ungerahmt an der Wand hängen. Vier schlichte, leichtfüßige Architektur-Zeichnungen, die einen beeindrucken, von denen man vor allem mehr sehen möchte, weil in ihnen etwas enthalten ist, dass sich allein im Bildnerischen findet, um das es ja gehen soll. Mal schauen, wohin der Weg sie führt.

Gerhard-Brockmann-Preis 2021: bis 20. Februar 2022, Stadtgalerie Kiel, 2G

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