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Archiv-Artikel

berliner szenen Desinteressierte Massen

Simuliertes Konzert

Im Fernsehen war Live 8 wunderbar, als Brian Wilson seine Lieder aufführte. Bei „Good Vibrations“ hätte man beinahe geheult. Nicht wirklich; man dachte das nur als Satz, starrte also ergriffen auf das Gesicht des Musikers, als könnte es einem etwas verraten.

H. sagte, um acht würden Roxy Music an der Siegessäule auftreten. Roxy Music waren für mich so etwas Ähnliches wie Dostojewski, Proust, Schalke 04 oder Marc Bolan, also große Helden meiner Jugend. Ich wollte noch einmal hören, wie Bryan Ferry den Satz „Rhododendron is a nice flower“ sang. Das wäre vielleicht mein „Rosebud“ gewesen. Bzw. „Madeleine“.

Auf der Stresemannstraße kamen mir viele Menschen entgegen. Ein Typ hatte ein rotes T-Shirt an, auf dem in schwarzen Buchstaben stand: „Heute ist ein guter Tag zum Sterben“. Wahrscheinlich hielt er den Satz für originell und witzig. Ganz weit weg zunächst, dann näher kommend, spielten Bands, die man nicht hören wollte: Sasha in der Umbaupause und dann Aha, die besser Oje heißen sollten. Die Menschen waren gekommen, weil Leute gern dahin gehen, wo schon viele andere sind.

Es war aber kein Konzert, sondern eine gigantische Simulation. Bestenfalls einer von tausend bewegte sich oder klatschte mal. Sasha sagte, das Publikum sei großartig. Das war eine Lüge. Was als melancholischer Abendspaziergang begonnen hatte, endete im Desaster. Man hatte nicht einmal mehr die Kraft, die anzugrinsen, die vereinzelt schienen in der desinteressierten Masse. Zu Hause sah man im Fernsehen Bryan Ferry voller Würde John Lennons „Jealous Guy“ singen. Kaum hatte er den letzten Ton gesungen, wurde nach London geschaltet. Nirgendwo konnte man den Rest seines Auftritts sehen.

DETLEF KUHLBRODT