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Archiv-Artikel

Mehr als ein Hit

In Zeiten, in denen Gesang und Instrumente von Auto-Tune selbst live auf die perfekte Tonhöhe gezogen werden, ist der Klang echter Stimmen immer wieder eine willkommene Erholung vom sterilen Einheitsbrei aus der genormten musikindustriellen Fertigung.

Überhaupt: Menschen die singen können, gibt es viel zu selten in der Popmusik. Allein was da beim alljährlichen Sommerhitdebakel an Retortenschund ohne Stimme und vor allem ohne Herz auf die Welt losgelassen wird, spottet der Beschreibung.

Ausnahmen bestätigen wie gewohnt die Regel. Bobby McFerrin zum Beispiel kann vielleicht sein „Don’t worry, be happy“ selber nicht mehr hören. Aber eines ist klar: Ein echter Profi war am Werk. Keine Sampler, kein einziges Instrument, außer McFerrins Körper, ist da zu hören. Jetzt dürfen wir aber bloß nicht den Fehler machen, ihn wie fast alle anderen Sommerhitler (haha) in der Kategorie Onehit-Wonder einzuordnen. Der Jazzmusiker, Filmkomponist und Dirigent ist sein eigenes Orchester – und zwar seit rund 30 Jahren. Polyfon, jawohl: mehrstimmig, singt er. Dazu schlägt er den Beat auf dem eigenen Brustkorb, dirigiert bei Konzerten Orchester, die er die Partitur nicht spielen, sondern singen lässt und sieht dabei, wie auch alle Mitwirkenden und das Publikum, ziemlich happy aus.

Die Botschaft seines bekanntesten Liedes klingt übrigens nicht nur wie eine simple Glückskeksbotschaft, sie ist auch eine. Der indische Mystiker und Guru Meher Baba pflegte seine Korrespondenz mit „Don’t worry, be happy“ zu unterschreiben und wurde so Pate einer Poster und Postkarten produzierenden Industrie, die den Spruch und den lächelnden Spiritualisten in der weiten Welt verteilte. Eines dieser Plakate soll McFerrin zu dem Lied mit dem eskapistischen Grundton inspiriert haben, der übrigens auch George Bush sr. sehr gefiel. In seinem Wahlkampf 1988 benutzte er das Lied bei Auftritten und in Werbespots – ungefragt. Das veranlasste wiederum den Künstler, sich gegen Bush auszusprechen und das Lied für einige Zeit aus dem Repertoire zu nehmen. Ganz so schlicht war das also nicht gemeint. Bush gewann trotzdem, nur um vier Jahre später gegen Bill Clinton zu verlieren. Das dürfte den bekennenden Demokraten McFerrin dann ganz happy gemacht haben. Jedenfalls singt er seitdem bei Auftritten auch wieder seinen Sommerhit.

Mit Auto-Tune kann er übrigens nichts anfangen, da das Korrekturwerkzeug nur ein monofones Tonsignal korrigiert. McFerrins Stimmakrobatik ist schlicht zu komplex für schnöde Technik. DANIÉL KRETSCHMAR

■ Bobby McFerrin & Chick Corea: Philharmonie, Dienstag, 20 Uhr