: Düsteres Rätsel Menschsein
Bewusst verstörend: Mounira al-Solhs Selbstporträt-Ausstellung „13 April, 13 April, 13 April“ in Osnabrück ist hart und zugleich feinsinnig. Wer sie dechiffriert, wird reich belohnt
Von Harff-Peter Schönherr
Es gibt Ausstellungen, in die fällt besser kein Tageslicht. Mounira al-Solhs „13 April, 13 April, 13 April“ ist eine dieser Ausstellungen. Je unsichtbarer das schmale, horizontale Fensterband mit der Dunkelheit der Wände verschmilzt, desto lebendiger wird sie, desto eindringlicher brennt sich uns ihre Forderung ein, sie zu enträtseln.
Al-Solhs hautfahle Skizzenblätter, wie aus der Schwärze gestanzt, werfen flackernde, fast unwirkliche Schatten. Nackt hängen sie an der Wand, ohne Rahmen, ohne Passepartout und ohne Glas. Zuweilen bewegen sie sich, als würden sie atmen. Ihre spärlichen Farben sind intensiver, wenn um sie Dunkelheit herrscht, ihre Kontraste schärfer. Die schwarzen Luftschächte am Boden, bewusst bloßgelegt, wirken wie Wunden in der Wand, wie Schlünde der Abgründe unserer Seele, wie Fluchttunnel in eine bessere, lichtere Welt.
Kunst, die sich erklärt, wird eindimensional, heißt es. Kunst, die uns zeigt, wie wir sie betrachten sollten, damit uns nichts an ihr entgeht, verliert, heißt es, jeglichen Zauber. Mounira al-Solhs „13 April, 13 April, 13 April“ gibt uns Gelegenheit, das zu überprüfen. Mechthild Achelwilm, Kuratorin für zeitgenössische Kunst im Museumsquartier Osnabrück (MQ 4), hat für das, was uns im „Raum der Gegenwart“ erwartet, ein Wort: „Minimalismus“. Sie meint damit nicht, dass al-Solh sich entpersönlicht. Sie umreißt damit die Art, ihre Selbstporträts zu präsentieren.
„13 April, 13 April, 13 April“ setzt Betrachtende voraus, die Lust haben, zu Suchenden zu werden. Zum Beispiel der Ausstellungstitel: Auf den libanesischen Bürgerkrieg nimmt er Bezug, der am 13. April 1975 begann. Wer weiß, dass al-Solh aus dem Libanon stammt, einen ihrer Wohnsitze in Beirut hat, sich oft den Nahen Osten zum Thema wählt, im Bürgerkrieg selbst zur Flüchtenden wurde, könnte das ahnen. Aber auch wer es nicht ahnt, spürt rasch: Was hier zu sehen ist, konfrontiert uns mit einer uns fremden, sehr elementaren, sehr gewaltvollen Welt. „Selbst die beste Erklärung könnte hier nicht alles erklären“, sagt Achelwilm. „Und vielleicht wäre das auch gar nicht gut. Es geht ja um die Eigenerfahrung.“
Al-Solhs kleinformatige Skizzen, jede für sich auf den ersten Blick unscheinbar, sind zu einer einzigen, langen Linie arrangiert, eng an eng, Gesicht um Gesicht, Körper um Körper. Soghaft wirkt das. Indem al-Solhs Selbstporträts uns als Abfolge entgegentreten, als Gruppe, verstehen wir: Al-Solh zeigt zwar sich selbst, als Individuum, mit all ihren Verwundungen und Ängsten, aber zugleich zeigt sie in sich den Menschen schlechthin.
Gegenüber den Porträts ein zweiter Sog: Texte in Englisch und Deutsch, auch sie in einer einzigen, langen Linie, eng an eng, auch sie nackt an der Wand. Teils sind sie sensibel poetisch: „Als wäre die Nacht Sprache“. Teils sind sie anklagend kämpferisch: „Oh, unterdrückerisches Patriarchat, unsere verlorenen Rechte sind ein Bürgerkrieg“. Wer nicht ahnt, dass es Weiterführungen der arabischen Gedankensplitter sind, die sich auf den Bildern finden, wird sich hier Erklärung wünschen.
Auch der kreisrunde, grüne Teppich, der zwischen beiden Linien liegt, bleibt rätselhaft. Er ist für al-Solh wie ein Schutzraum; oft ist er mit ihr auf Reisen. Auf ihm bringt sie ihre Selbstentblößungen, Selbstbefragungen, Selbstsezierungen zu Papier, oft hockend, oft knieend. Wer aus einem Land allumfassender Unsicherheit kommt, muss mit sich tragen, was Sicherheit bietet.
Indem al-Solh von sich selbst erzählt, erzählt sie von Krieg und Flucht, von Migration und Exil, von Verletzlichkeit und Verletzung. Oft zeigt sie sich nackt – ein Sinnbild unverfälschten Seins, zudem ein Akt des Widerstands gegen eine Gesellschaft, die den weiblichen Körper mit Tabus belegt. Indem al-Solh Werkstoffe verwendet, die keine Nachbearbeitung erlauben, konfrontiert sie uns mit größtmöglicher Unmittelbarkeit. Was sie uns zeigt, ist von fast übernaher Nähe.
Zugleich ermöglicht uns al-Solh einen Blick hinein in die Geschichte der Kunst. Denn ihre Selbstporträts nehmen auf die des jüdischen, 1944 in Auschwitz ermordeten Malers Felix Nussbaum Bezug, in dessen Gedenkmuseum der „Raum der Gegenwart“ liegt. „13 April, 13 April, 13 April“ ist die vierte Ausstellung der Reihe „Gegenwärtig. Zeitgenössische Künstler:innen begegnen Felix Nussbaum“ – und dass Nils-Arne Kässens, der Direktor des MQ4, über al-Solhs Nussbaum-Hommage sagt, sie sei „die für mich persönlich bisher emotionalste“, ist verständlich.
Als „roh und zugleich artifiziell“ beschreibt Mounira al-Solh der taz selbst ihre Schau, per Videostream aus den Niederlanden. „Wichtig ist vor allem, die Hoffnung nicht zu verlieren.“ Sie wirkt sehr dünnhäutig dabei. Authentisch zu sein, geht an die Substanz. Keine Mauern um sich zu errichten, macht zwar frei, aber auch schutzlos.
Oft sieht al-Solh uns auf ihren Blättern direkt in die Augen, fragend und bitter, sehnsüchtig und düster, fordernd und leidverzerrt, und es ist schwer, sich ihrem Blick zu entziehen. Stark ist das. Wer al-Solhs Bildern standhält, gemalt nicht zuletzt mit ihrem eigenen Blut, wirft einen Blick hinein in sich selbst. Al-Solhs Augen, oft übergroß, zwingen uns hinzusehen, auch abstrahiert. Flucht und Verfolgung, spüren wir so, ereignen sich in jedem Augenblick, überall auf der Welt. Auch während „13 April, 13 April, 13 April“ – die dreifache Wiederholung ist ebenso ein Symbol dafür wie die fehlende Jahreszahl.
Al-Solhs Werk spannt sich von der Videoinstallation bis zum Textilobjekt; von Frankreich bis in die USA hat sie ausgestellt. „13 April“ reiht sich hier ein, als wichtige Position. Und dass die Schau auf Wegweisung verzichtet, macht nichts eindimensional, nimmt nichts an Zauber. Wer hier sucht, findet. Vor allem: eigene Haltung.
Einer der Texte, an denen al-Solhs Sog uns vorüberzieht, geht so: „Die Wand spritzte, krachte, zerbrach und explodierte“. Auch „13 April“ lässt eine Wand kollabieren. In uns. Die Folge: ein unverstellterer Blick auf die Welt. Auch die der Fremde.
„13 April, 13 April, 13 April“: bis 13. 11., Museumsquartier Osnabrück
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