: DaimTopfwächstnochetwasZartes,Buntes

Es gibt Lebewesen, die verlangen Zärtlichkeit. Marienkäfer zum Beispiel, ein junges Reh oder kleine Kinder. Lebewesen, die eben zart und verletzlich sind. Zimmerpflanzen gehörten für mich lange Zeit nicht dazu. Ich fand die meisten Exemplare langweilig, öde, irgendwie belanglos. Dann schenkte mir im Januar eine Freundin zum Geburtstag einen kleinen Blumentopf.
Darin wuchs der Ableger einer dieser Büropflanzenungeheuer, eine Grünlilie, wie ich später erfuhr. Sie ist auch als Beamtenpalme bekannt. An diesem Tag aber interessierte mich ihr Name nicht. Ich war enttäuscht.
Im Wohnzimmer stellte ich sie einfach irgendwo hin. Sie bekam, was sie zum Wachsen brauchte, nicht mehr und nicht weniger. Einige Wochen später blieb mein Blick im Vorbeigehen an der Pflanze hängen.
Da im Topf wuchs noch etwas, etwas, das sich von der Grünlilie abhob: Ein filigraner Stiel, an dessen Ende sich drei hauchdünne, purpurrot leuchtende Dreiecke in die Luft streckten. Nun hatte das, was sich im Topf abspielte, meine volle Aufmerksamkeit.
Die Verwandlung nahm ihren Lauf. Die kleine Beipflanze trieb mehr und mehr Stiele aus. Zu den großen, fertigen purpurroten Köpfchen gesellten sich kleinere dazu, alle streckten sich zum Fenster, wie eine kleine Familie, die den ersten Schnee bestaunt. Später bildete die Pflanze an einem besonders langen Stiel eine winzige weiße Blüte.
Oxalis triangularis, Roter Dreiecksklee ist ihr Name, fand ich heraus – und ich beobachtete: Die kleine Familie kennt Tag und Nacht. Bei Licht öffnen sich die Blätter und bei Dunkelheit schließen sie sich. Ganz langsam, und doch scheint es, als könne man ihnen dabei zusehen. Haben sie sich einmal entfaltet, gleichen sie Schmetterlingen, die sich im Dickicht der Grünlilie verstecken. Am Abend, wenn sie sich wieder zusammenfalten, wünsche ich ihnen heimlich Gute Nacht.
Es gibt Leute, die verschenken zum Jahreswechsel gerne Glücksklee, der mit dem Dreiecksklee verwandt ist. In so kleinen Töpfen, dass er wohl nicht älter als ein paar Wochen wird. Und es gibt Leute, die verschenken Zärtlichkeit. Fürs ganze Jahr und darüber hinaus.
Manchmal, ohne es zu wissen. Wie meine Freundin. Nora Belghaus
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen