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Archiv-Artikel

Ungleiche Geschwister

Schon Ralf Dahrendorf wusste: Populismus ist einfach, Demokratie kompliziert. Deshalb haben Populisten auf der Linken wie der Rechten Erfolg, ohne die Probleme zu lösen

Da Lafontaine für politische Sprache sensibel ist, dürfte das Wort „Fremdarbeiter“ kein Zufall sein

Oskar Lafontaine ist der große Gesamtpopulist. Der Spitzenkandidat der Linkspartei agitiert gegen „Fremdarbeiter“ und bedient großzügig rechtsextreme Feindbilder. Auf dem WASG-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende hat Lafontaine seine Äußerung über „Fremdarbeiter“ bekräftigt – und PDS-Chef Lothar Bisky ließ seinen neuen Partner gewähren.

Da sich Lafontaine sonst gern sensibel für politische Sprache zeigt, dürfte ihm das Wort kaum rausgerutscht sein – trägt das zweite Kapitel seines jüngsten Buches doch nicht umsonst den Titel „Korruption der Sprache und des Denkens“.

Gewiss gibt es in der Programmatik rechter und linker Populisten gravierende Unterschiede– traditionell zählen sich die Linken schließlich zu den Antifaschisten. Doch punktuell lassen sich frappierende Parallelen zwischen beiden Populismen erkennen. Lafontaine und Gregor Gysi, aber auch Parteien wie die NPD arbeiten gern mit Sündenböcken und starken Vereinfachungen. So machen sie vor allem „den“ Kapitalismus für soziale Missstände in Deutschland und Hunger in Entwicklungsländern verantwortlich. Nur: Ist unsere „soziale Marktwirtschaft“ mit einer Staatsquote von rund 50 Prozent wirklich reinster „Kapitalismus“? Und entrichten nicht die 10 Prozent Höchstverdiener 50 Prozent des Einkommensteuer-Aufkommens? Gibt es also nicht noch immer eine Umverteilung von oben nach unten?

Lafontaine versucht, soziale Abstiegsängste zu schüren, gerade in der Ex-DDR. Mit seiner Chemnitzer Äußerung über „Fremdarbeiter“ dürfte er insbesondere dort auch punkten. Gerade in Chemnitz feierten jüngst sowohl links- als auch rechtsextreme Kräfte kommunale Wahlerfolge.

In Ostdeutschland meinen laut Umfragen vor allem die Anhänger der antipluralistischen PDS, in Deutschland gebe es zu viele Ausländer. Dabei liegt der Ausländeranteil in allen jungen Bundesländern jeweils bei nur rund 2 Prozent. Von der doppelten Staatsangehörigkeit, so klagt die PDS-Politikerin Angela Marquardt, „hat die PDS selbst viele ihrer Mitglieder nicht überzeugen können“. Überraschenderweise fordert die PDS, im Gegensatz zu Lafontaine, dennoch eine letztlich fast grenzenlose Zuwanderung nach Deutschland.

Die Wähler rechter und linker Populisten teilen mehrere Gemeinsamkeiten, unter anderem sind sie besonders kirchenfern. Linke und rechte Populisten profitieren besonders von schwindenden Kirchenbindungen, wobei die SED in den 40 Jahren ihrer diktatorischen Herrschaft in Ostdeutschland Kirchenbindungen nachhaltig zerschlagen hat. Wie flexibel die Wähler rechtsextremistischer Parteien und der PDS sind, hat die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1998 erwiesen: Rund 23 Prozent derjenigen, die der rechtsextremistischen DVU ihre Zweitstimme gaben, wählten mit der Erststimme die PDS. Denn die ferngesteuerte Briefkastenpartei DVU hatte erst gar keine Wahlkreiskandidaten aufgestellt.

Solch ein Phänomen ist aber nicht nur im Osten denkbar: Jedes fünfte Mitglied der rund 7 Millionen Gewerkschafter in Deutschland hat eine „rechtsextreme Gesinnung“ , wie eine aktuelle Studie der Freien Universität Berlin zeigt – eine Studie, die der DGB in Auftrag gegeben hat.

Offenkundig berühren sich die Extreme. Ähnlich wie Lafontaine und PDS kritisieren auch rechtsextreme Kräfte die „sozialpolitische Verantwortungslosigkeit der Altparteien“ und warnen vor der „Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten“. Zugleich befürworteten sie „deutlich die Marktwirtschaft“. Allerdings versucht auch die PDS seit einiger Zeit, sich als Interessenvertreter von mittelständischen Unternehmern zu präsentieren, vor allem von früheren Stasi-Mitarbeitern, die nach 1989/90 Mühe hatten, im öffentlichen Dienst zu landen.

Rechte wie linkePopulisten schüren üblicherweise die sozialen Abstiegsängste

Die Rezepte, die Populisten anbieten und propagieren, eignen sich, Deutschland noch tiefer in die Sackgasse zu führen. Das unterstreicht die Forderung nach Mindestlöhnen, die Arbeit und damit auch Produkte verteuerten, worunter gerade auch kleine Leute leiden müssten. Wer könnte sich ein Auto leisten, das komplett in Deutschland zu Mindestlöhnen entstanden ist? Mindestlöhne zerstörten damit weitere Arbeitsplätze. Zwar kämen wahrscheinlich weniger Fleischer aus Polen nach Deutschland – aber zugleich wohl mehr Fleisch.

Sowohl linke als auch rechte oder rechtslinke Populisten à la Lafontaine verbreiten diverse Halbwahrheiten, die üblicherweise schwerer zu widerlegen sind als Lügen. Ihre grob vereinfachte Sündenbock-Agitation bietet ihnen die Basis, um rigide Lösungen zu fordern – nach der Devise: Fremdarbeiter raus. Rechts- und Linkspopulisten versuchen, komplexe Probleme mit einfachen Rezepten zu lösen.

Vertreter beider Extreme schaffen oder schüren üblicherweise soziale Abstiegsängste, wettern gegen die internationale Arbeitsteilung und wollen Deutschland abschotten. Um Lücken zwischen Ideologie und Wirklichkeit zu überbrücken, polemisieren Populisten mit antiamerikanischen Theorien – wie zuvor NPD und PDS nannte Lafontaine nun in Kassel den Nato-Einsatz in Exjugoslawien, der endlich den Massenmörder Milošević stürzte, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.

Kurz: Populisten nutzen also die zunehmende Parteienverachtung. Sie fordern mehr plebiszitäre Elemente, kritisieren die vermeintliche Abgehobenheit und Inkompetenz aller anderen Parteien, geben sich besonders volksnah. Sie nennen das „Volk“ eine Ein- statt Vielheit, äußern sich heterophob und kompromissfeindlich, idealisieren sich und das „Volk“ als „sauber“ und „kompetent“, artikulieren und dramatisieren Missstände.

Sie fordern selbstverständlich nichts, was unpopulär sein könnte, bevorzugen vereinfachte Diagnosen und Therapien, arbeiten mit Feindbildern, appellieren an niedere Instinkte. Sie jonglieren mit Ressentiments, reden ihrem Wählerpotenzial nach dem Munde und agieren damit, wie manch andere Politiker auch, stark demoskopiehörig.

Die grob vereinfachte Sündenbockagitation ist die Basis, um rigide Lösungen zu fordern

Allerdings muss ein bürgernaher Politiker, der eine populäre Forderung erhebt, nicht allein schon ein Populist sein. Wesentlich ist die Dosis. Ralf Dahrendorf bilanzierte einst zu Recht:

„Populismus ist einfach, Demokratie komplex: Das ist vielleicht das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Formen des Bezugs auf das Volk. […] Für nichtpopulistische Politiker bedeutet das eine […] komplexe Aufgabe. Sie müssen die großen Vereinfachungen vermeiden und doch die Komplexität der Dinge verständlich machen. […] Komplizierte Zusammenhänge zu erklären ist eine Hauptaufgabe demokratischer politischer Führer.“

HARALD BERGSDORF