: Das Recht der Weltgesellschaft
SPRECHAKTE Das globale Recht dient bislang den Konzernen, meinen die Bremer Staatsrechtler Fischer-Lescano und Möller und fordern neue juristische Weltstandards
Selbstverständlich vermarkten die internationalen Großunternehmen ihre Produkte weltweit und spannen die internationalen politischen und ökonomischen Gremien für sich ein. Schönes aktuelles Beispiel ist die Eurorettung: Die Banken nutzen die Finanzkrise dazu, sich von EU-Steuergeldern rekapitalisieren zu lassen. Geschützt werden ihre Ansprüche von fein abgestimmten Vertragsgesetzen, überwacht von juristischen Spezialisten.
Der dahergelaufene Bürger, insbesondere in wirtschaftlich schwachen Staaten, genießt nichts dergleichen, konstatieren Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller in ihrem kleinen Band „Der Kampf um globale soziale Rechte“. Im Gegenteil: Hunger, Migration und Menschenrechtsverletzungen würden vom globalen Recht erst „ermöglicht und befördert“. Dies zu ändern, schreiben die beiden Staatsrechtler die „gegenhegemoniale Agenda“ der Globalisierungskritik nun juristisch fort. Das transnationale Recht brauche – hier zitieren die Autoren lieber einen Großen des 19. Jahrhunderts, Otto von Gierke – einen „Tropfen sozialistischen Öls“.
Denn, so die Analyse: Die Verrechtlichung auch der internationalen ökonomischen Widersprüche haben sich bislang fast nur die Konzerne zunutze gemacht. Jedoch mit Know-how können sich auch andere der Rechtsinstitutionen bedienen. So wehrten sich etwa die Bewohner der Stadt Cochabamba in Bolivien gegen hohe Wasserpreise und schlechte Wasserqualität, nachdem ihre Wasserversorgung privatisiert wurde. Eine Klage des Wasserunternehmens Aguas del Tunari, Tochter des US-Konzerns Bechtel, vorm internationalen Investitionsschutztribunal ICSID gegen Bolivien führte zu einer außergerichtlichen Einigung – und dazu, dass Bolivien das Recht auf Trinkwasser in der Verfassung verankerte.
Bangladesch in Bremen
Um solche Kämpfe weltweit erfolgreich zu führen, muss die EU zur Sozialunion weiterentwickelt werden, so die Autoren. Es brauche mindestens einen europäischen Sozialgerichtshof. Weiterhin müssten freiwillige Selbstverpflichtungen, Codes of Conduct genannt, von transnationalen Unternehmen in zwingendes Recht verwandelt werden. Hierzu könnten nationale Rechtsordnungen weltrechtlich verdoppelt werden: Dann könnte etwa mit deutschem Zivilrecht international Schadenersatz eingeklagt werden.
Spätestens an dieser Stelle werden Juristen das Werk der Kollegen fein lächelnd abfertigen: Die beiden Bremer ließen sich von aktivistischem Schwung wohl davontragen. Um ein konstruiertes Beispiel zu wählen: Wie weit das Bürgerliche Gesetzbuch wohl dehnbar ist, bis sich ein Bremer Amtsrichter findet, der eine Klage eines Kleinhändlers aus Bangladesch verhandelt, dessen Laden von einer Überschwemmung fortgetragen wurde, die dadurch verursacht wurde, dass der vom Monsun angeschwollene Fluss fehlgeleitet wurde, um das Textilwerk zu sichern, in dem der Frau des Kleinhändlers vom Farbstoff für H&M-T-Shirts die Hände verätzt werden?
Recht ist immer eine Sache des sprachlichen Aktes, meinen aber Fischer-Lescano und Möller: Recht gäbe es nicht, wenn nicht ununterbrochen Menschen vor Gerichten das Gesetz anriefen, das erst dadurch Geltung erlangt, dass es dann ausgelegt wird. Dieses Prinzip ist dehnbar. Nur braucht es neben den „Anwaltsfabriken“ im Dienst von Deutscher Bank, Shell und Co auch die Anwaltsfabriken im Dienst von Landarbeitern, Kleinhändlern und versklavten Frauen.
Womit ein wichtiges Problem benannt wäre, an dem die Autoren etwas zu galant vorbeischiffen: Wer alles für die globalen sozialen Rechte kämpfen soll, bleibt unbeleuchtet. Denn mit schwungvoller Verachtung haben die Autoren zwischenzeitlich Orte der Auseinandersetzung als untauglich vom Tisch gefegt, an denen die eine oder andere kritische Stimme immerhin gehört wird: die nationalen Parlamente etwa. Aktuell weist nun wenig darauf hin, dass das Europäische Parlament demnächst den Bundestag darin ablösen könnte, regierende Politiker zur Einhaltung von Gerechtigkeitsstandards zu zwingen. Jedenfalls aber zeugt der Band davon, welche großen Hoffnungen die Autoren auf die Absolventen ihres Bremer Jura-Studiengangs setzen. ULRIKE WINKELMANN
■ Andreas Fischer-Lescano, Kolja Möller: „Der Kampf um globale soziale Rechte“. Wagenbach Verlag, Berlin 2012, 95 S., 14,90 Euro