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Form schlägt Inhalt

Studio Braun bringt Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ am Hamburger Schauspielhaus als Actionspektakel im Geist von Charles Bronson auf die Bühne. Ihr „Coolhaze“ ist unterhaltsam, bleibt dabei aber leider zu konventionell

Von Jan-Paul Koopmann

Michael Coolhaze sinnt auf Rache. Seine liebevoll frisierten Motorräder sind Schrott, der Azubi verprügelt seine Frau – die liebe „Lovelove“ – ist tot. Am schlimmsten aber: Er trägt irgendwie selbst Schuld an der Misere, weil er dem so schmierigen wie korrupten Cop nicht einfach ein paar Dollar zugesteckt, sondern auf Staat, Justiz und das New Yorker Straßenverkehrsamt setzt.

So weit, so Kleist, was das Anarchotrio Studio Braun im Hamburger Schauspielhaus mit „Michael Kohlhaas“ veranstaltet. Ein neues Kleid für die Novelle vom rechtschaffenen Rosshändler, dem wer dummdreist die Pferde klaut – und der dann innerlich zerrieben zwischen Recht und Gerechtigkeit zur Waffe greift; Städte niederbrennt und schließlich heroisch untergeht und das Elend vom bürgerlichen Rechtsstaat einer sich seit gut 200 Jahren immer wieder angesprochen fühlenden Le­se­r:in­nen­schaft auf den Tisch knallt. Diesmal schlägt eindeutig die Form den Inhalt: Im Grunde ist doch scheißegal, warum Coolhaze (Charly Hübner) und Knecht Shaggy (Rocko Schamoni) auf ihrem Bonanzarad durchs New York der 1970er zuckeln: zwischen bühnenwandhohen Backsteinwänden mit Feuerleitern und den handgemalten Schildern kleiner Kfz-Werkstätten. Und Sprüche klopfen sie natürlich, die in Studio-Braun-Manier zwischen schrägen Metaphern und herzlichem Kiezrabaukentum changieren: „Wenn der Hund ans Bein pinkelt, dann stinkt das Bein und nicht der Hund.“

Und weil das trotz allerliebster Gesangseinlagen und passgenauem Schmelz aus dem Orchestergraben wohl öde würde über zwei Stunden, spendiert das Regietrio Heinz Strunk, Jacques Palminger und Rocko Schamoni der Sause noch eine Ebene obendrauf. Ihr Kohlhaas ist ein Film im Stück, der aktuell gedreht und mit „Cut!“, „Ton?“ und „Schnitt!“ immer wieder unterbrochen wird, damit Unsympath Florian von Richthofen (Samuel Weiss) das Team terrorisieren kann – und Steilvorlagen liefert für die nächste Runde Gaga aus dem Off.

Was soll das eigentlich sein?

„Wenn der Hund ans Bein pinkelt, dann stinkt das Bein und nicht der Hund“

Studio Braun

Auch wenn vor allem Charly Hübner etwas anzufangen weiß mit der Doppelrolle aus knallhartem Actionheld und der guten Seele am Set, wird mit der Zeit doch immer unklarer, was das eigentlich soll. Alles wird zwar immer breiter, ohne dabei aber in die Tiefe vorzustoßen. Beide Ebenen operieren mit den gleichen Klischees, erzählen die gleichen Witzchen in der gleichen Sprache. Was als wechselseitige Kommentiererei angelegt ist, von Filmgeschäft auf Bühne, auf Kleist, auf Gesellschaft, auf Frauenrollen, auf Macht, auf Gerechtigkeit, trifft letztlich doch auf nichts als nur weitere Pappkameraden und -kameradinnen.

Lustig ist es trotzdem und gegen Eindimensionalität wäre auch erst einmal nichts zu sagen, wenn diese eine Dimension denn auch etwas hergibt. Und das tut sie spätestens nach einer halben Stunde leider nicht mehr. Es bleibt beim kultivierten Nonsens, den das eingeübte Publikum ab dem ersten Bild warm lachend goutiert. Man weiß halt, was man kriegt, denn tatsächlich sind die Studio-Braun-Figuren schon lange entwickelt, ihre Handschriften unverwechselbar: von Jacques Palmingers surrealer Verschwurbeltheit (wenn er in riesenhaftem Raupenköstum über die Bühne schlabbert und existenzielle Krisen verhandelt), zu Heinz Strunks zuckersüßer Holzhammerlyrik („New York/Angst vor dem Scheitern / und Flucht über Leitern“) – bis zu Rocko Schamonis gutmütigem Rebellentum („Gegen das System! Für die Bikes!“)

All das: wunderschöne Miniaturen, deren Melange Studio Braun seit mehr als 20 Jahren in wechselnden Formaten zwischen Telefonstreich, Musik und Film immer weiter zur Erfolgsmarke verdichten. „Coolhaze“ hat genau die anarchistische Eskalation geliefert, die das Label Studio Braun verspricht. Diesmal dann eben mal wieder im Theater, in einer – bei allem Wumms an der Oberfläche – im Grunde doch konventionellen Inszenierung. Auch wenn der Griff in die gewohnte Trickkiste modernen Theaters hier zuverlässig immer wieder etwas findet, drängt sich am Ende ein irgendwie auch tragischer Verdacht auf: dass Studio Brauns Gaga-Spektakel die große Bühne nämlich vielleicht doch etwas dringender be­nötigt als die große Bühne Studio Brauns Gaga-Spektakel.

Hamburger Schauspielhaus: Wieder am 9. 12. um 20 Uhr sowie am 31. 12. um 16 und 20 Uhr

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