Windbrecher auf dem Zweirad

Lance Armstrongs Mannschaft Discovery Channel gewinnt die vierte Etappe der Frankreich-Rundfahrt, das Teamzeitfahren. Der Amerikaner schlüpft ins Gelbe Trikot, während der ewige Herausforderer Jan Ullrich wieder wichtige Sekunden verliert

Die Neunergrüppchen hatten keinen Blick für die Schönheiten der Strecke. Sie bretterten am schönen Montlouis sur-Loire vorbei, sie ließen das Schloss von Amboise links liegen und auch die malerische Loire fiel ihrem Tunnelblick zum Opfer. Die Mannschaften hatten beim kollektiven Kamf gegen die Uhr nur die üblichen Sehenswürdigkeiten im Blick: den Pneu des Vordermanns, die Körnung des Asphaltbelags und das flackernde Weiß des Mittelstreifens.

Für die hageren Athleten auf ihren getrimmten Gefährten ist das genug Unterhaltung, zumal sie auf ihren nur sieben Kilogramm schweren Zeitfahrmaschinen durchschnittlich mit Tempo 55 über die Straßen rauschten – und es an diesem Dienstagnachmittag auch wieder mal ums Ganze ging. Auf der 67,5 Kilometer langen Strecke zwischen Tours und Blois galt es, ein Teamzeitfahren zu absolvieren, eine Leistungsprobe, die das Team von Lance Armstrong, Discovery Channel, erwartungsgemäß am besten bestand. Es sollte das schnellste Teamzeitfahren in der Geschichte der Frankreich-Rundfahrt werden, denn die beste Equipe fuhr im Schnitt 57,31 Kilometer pro Stunde schnell. Es sollte überdies das engste Teamzeitfahrten in der Geschichte der Tour werden, denn die ersten beiden Radgruppen trennten nur Bruchteile: 1,97 Sekunden.

Um 15.55 Uhr war die Mannschaft des Tourfavoriten auf die Flachstrecke gegangen. Lance Armstrong hatte sich vor der anstehenden Anstrengung noch einmal gegelt; er spülte die Kraftpaste mit einem Schluck Wasser herunter. Derart gestärkt preschten alle Neune, bestückt mit windschnittigen Kopfbedeckungen, ostwärts. Die Fahrer reihten sich auf, spendeten sich gegenseitig Windschatten. Die Zugmaschinen mussten an der Spitze Dienst tun, allen voran George Hincapie, Jaroslaw Popowitsch und Pavel Padrnos. Aber auch Lance Armstrong betätigte sich nach Leibeskräften als Windbrecher.

Nach der ersten Zeitnahme, 42,5 Kilometer vor dem Ziel, war die dänische Mannschaft CSC von Teamchef Bjarne Riis vorn, lag sechs Sekunden vor dem Team Liberty Seguros, dem Chef Manolo Saiz in gewohnt krakeliger Manier per Megafon einheizte. 15 Sekunden auf CSC hatten Discovery Channel und auch das Team T-Mobile verloren, das überraschend stark pedalierte. Bei der nächsten Zeitnahme bei Kilometer 45,8 hatte das Bonner Werksteam die Spanier hinter sich gelassen, doch mussten sie kurz nach Passieren der Lichtschranke auf Tobias Steinhauser verzichten, der den lilafarbenen Express fahren lassen musste. Steinhauser war am Ende seiner Kräfte; später ereilte Stephan Schreck und Daniele Nardello das gleiche Schicksal.

Armstrongs Fahrgemeinschaft lag an diesem Messpunkt knapp vor den Deutschen, zwei Sekunden. Das Team CSC blieb mit einem Polster von sieben Sekunden an der Spitze des Klassements. In der Schlussphase des Rennens lieferten sich CSC und Discovery Channel ein umkämpftes Fernduell, bei dem der bisherige Mann in Gelb, David Zabriskie, kurz vor dem Ziel noch zu Fall kam und das begehrte Trikot nach der Etappe an Lance Armstrong übergeben musste. Jan Ullrich, dessen Team Platz 3 mit 35 Sekunden Rückstand belegte, verlor nach der pauschalisierten Zeitregel dreißig Sekunden. „Es war ein sehr starkes Zeitfahren von uns“, sagte Ullrich. „Mehr konnten wir heute nicht geben.“ Alles läuft nach Plan. Allerdings nur für Lance Armstrong. MV