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Archiv-Artikel

Gut stehende Tirade

IRONIESTUDIO Patrick Wengenroth inszeniert Schiller und parodiert dabei Daniel Kehlmann

Eine Antwort auf die Frage, was eine Schaubühne leisten kann, gibt der Abend nicht

Das Theater hat die adäquate Antwort auf Daniel Kehlmann gefunden. Aus dessen Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hat der Regisseur Patrick Wengenroth im Studio der Schaubühne einen knapp zweistündigen hochamüsanten Theaterabend gebastelt.

Der Bestsellerautor Kehlmann wünschte sich in seiner Rede bekanntlich eine historisch akkurate Inszenierung von Schiller-Stücken. Das war ein gefundenes Fressen für Wengenroth, den Spezialisten für kabarettistisch-poppige Showcollagen, der als Mitgründer der Off-Bühne Theaterdiscounter bekannt wurde, für die er seine kultigen „Planet Porno“-Abende entwickelte.

In Wengenroths Studioserie „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“ soll nun in drei Teilen jene berühmte Schiller-Rede auseinander genommen werden, die die Schaubühne als moralische Anstalt propagiert.

Was im Format der Leseprobe daherkommt, entpuppt sich bei dem in gewohntem Sportjackenschlabberlook auftretenden Schnauzbartträger Wengenroth als locker-flockige Fingerübung in permanenter Dekonstruktion.

Einziger Zweck der Veranstaltung ist intelligente Publikumsbelustigung mittels Verjuxung der Vorlagen, deren Versatzstücke flink in neue Kontexte verfrachtet werden und dort notwendigerweise komischen Funken sprühen.

Eine Antwort auf die von Ulrich Hoppe in Running-Gag-Manier immer wieder aufgeworfene Frage, was eine gute stehende Schaubühne denn nun eigentlich wirken kann, gibt der Abend freilich keine. Es sei denn, man betrachtet dessen Unterhaltungsfaktor als Statement.

Da erscheinen etwa die Schiller’schen Großworte Freiheit, Liebe und Ewigkeit als Versatzstücke schnulziger Schlager von Reinhard Mey und Udo Jürgens – in Anspielung darauf, wie auch heute noch Werte gebildet werden. Daniel Kehlmann kommt in Gestalt des unübertroffenen Niels Bormann vor.

Köstlich, wie dieser die Rede Kehlmanns bloß mit minimalen Signalen der Ironie versieht und dabei einen maximal komischen Effekt erzielt. Mal französisiert er die Aussprache, betont hier ein bisschen über und macht dort eine längere Pause – und schon wirkt die Rede Kehlmanns wie die reinste Aneinanderreihung von Absurditäten. So nimmt der Abend en passant auch den Furor aufs Korn, mit der Kritiker und Theaterwelt auf die Rede Kehlmanns reagierten.

Den Widerspruch etwa, dass Kehlmann als Kronzeugen seiner Kritik am Regietheater ausgerechnet dessen ersten Protagonisten Max Reinhardt ins Feld führt, macht Thomas Bading einleuchtender anschaulich als jeder Kritiker, indem er dem Bormann-Daniel beständig mit Reinhardt-Reden dazwischenquatscht.

Welche Konsequenzen die immer wieder lautwerdende Forderung nach historischen Kostümen haben könnte, zeigt Lars Eidingers zum Tränenlachen komisches Solo als Franz Moor. Er klagt die Natur dafür an, ihm „Lappländersnase“, „Mohrenmaul“ und „Hottentottenaugen“ verpasst zu haben. Bucklig und mit effektvoller Überbissprothese stakst er mit Kniehosen und Absatzschuhen einher, spreizt die Finger und rollt das R. Das Verfremdungsgefühl ist jedenfalls weniger groß, als Eidinger sich später zur Illustrierung der Kehlmann’schen Horrorvisionen nackten Hinterns in einen Teller Spaghetti setzt und Franzens Selbstverwünschungstirade noch einmal spricht.

Zu Beginn des Abends zitiert Wengenroth übrigens auch noch aus einer anderen, ebenfalls idealistisch aufgeladenen Schrift. Aus jenem Schaubühnen-Manifest nämlich, mit dem das neue Leitungsteam um Thomas Ostermeier im Jahr 2000 an den Start ging. Darin wurde das Theater in einer „völlig entpolitisierten Gesellschaft“ zum „Ort einer Bewusstwerdung und damit einer Repolitisierung“ ausgerufen.

Indem die Schaubühne jetzt den zuverlässig respektlos Texte mixenden Wengenroth mit der Schiller-, Schaubühnen-, und also Selbstverwurstungsserie betraut, zeigt sie bemerkenswerten Mut zur Selbstironie. Endlich mal eine Bewusstwerdungsarbeit der erfrischend anderen Art.

ANNE PETER

■ Nächste Aufführungen: 17. und 18. September, 20 Uhr