Die EM vom Norden aus (13) : Maradona in Ober Ochtenhausen
MARTIN ROONEY
„Lila gestreift, bitte!“ Ich wachte auf und hörte die Stimme von Nicole am Telefon. Sie ist die Frau meines Freundes Claus aus Ober Ochtenhausen. Und dieses Jahr wollte sie von mir, ihrem Trauzeugen, zum Hochzeitstag keine Wilkin’s „Lemon Curd“-Marmelade aus Tiptree/Essex, nicht einmal „Little Scarlet“, die teuerste Sorte von englischer Erdbeermarmelade überhaupt. Und schon gar keine Walker’s „Pure Butter Shortbread“-Butterkekse aus Schottland. All diese Köstlichkeiten hatte sie schon von mir geschenkt bekommen. Nein, sie wollte einen lila gestreiften Morphsuit. Einen Ganzkörperanzug also.
Nicole erläuterte: „An unserem diesjährigen Hochzeitstag gibt es hier ein Dorffest und der Fußballstar Diego Armando Maradona kommt. Und ich möchte einen tollen Eindruck machen, denn das ganze Dorf will beim Dorffest dem Weltstar zuliebe Ganzkörper-Gummianzüge tragen. Und es wird im Festzelt ein spezielles Bier gebraut und ‚Morphis‘ genannt.“
Aber am Hochzeitstag kam es anders als erwartet. Zum einen schüttete es den ganzen Tag und auf der Oste konnte man wegen des starken Windes kein Kanuwettpaddeln durchführen. Die geplante Kulturveranstaltung bei Claus’ Onkel, einem Öko-Bauern und einem begnadeten Schöpfer von surrealistischen Hochzeitstorten aus Smarties, fiel buchstäblich ins Wasser.
Aber die größte Enttäuschung war Diego Maradona. Im Festzelt musste er immer wieder die Autogrammstunde unterbrechen, um für die Kameras von Radio Bremen und NDR zu posieren. Irgendwann hob er die Hände. „No, no“, sagte er, bis die Fans in Morphsuits murrend abdrehten. Das gehöre dazu, betonte Maradona auf Englisch. Ein Weltstar müsse hin und wieder arrogant sein.
Nachdem Maradona tief ins Morphis-Glas geschaut und Deutsch zu sprechen angefangen hatte, merkte man sofort: Da ist kein gerolltes „R“, stattdessen viel „sch“ und „oi“. Er schwäbelte wie jemand, der auf der Alb aufgewachsen ist.
Der Mann mit dem grauen Anzug, der riesigen Sonnenbrille und den Ohrsteckern war in Wirklichkeit Abdulkadir Atici, kurz Abi. Ein Sportfachverkäufer aus Bad Ditzenbach. Der 47-jährige Deutsch-Türke verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Leben eines anderen. Jetzt, zur EM, ist er so gut im Geschäft wie lange nicht: „Für alle, die es glauben, ist es wie Weihnachten. Die anderen machen trotzdem ein Photo mit mir und stellen das bei Facebook rein.“
Das Doppelgängertum ist für Abi mehr als ein Job, es ist eine Berufung: „Der liebe Gott hat mir nun mal dieses Aussehen gegeben. Jeden Tag, wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich Diego.“