: Bremsen in Schräglage
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen BMW – wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, weil bei den schweren Motorrädern die Antiblockiersysteme versagen können. Ein Mythos beginnt zu bröckeln
VON ARNO FRANK
Für eine Vollbremsung zur Schadensbegrenzung, für eine Rückrufaktion also, dürfte es jetzt schon zu spät sein. Nach der Anzeige eines Motorradfahrers ermittelt nun die Staatsanwaltschaft München gegen BMW – wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, wie Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeldt am Dienstag erklärte. Grund ist ein Versagen des aufwändigen Antiblockier-Bremssystems (ABS), einer Eigenentwicklung, mit der BMW 1988 als weltweit erster Motorradhersteller auf dem Markt reüssierte. „Nachdem behauptet wird, dass das kein Einzelfall sei, sondern möglicherweise bauartbedingt, werden wir die Ermittlungen weiter ausdehnen“, so Schmidt-Sommerfeldt. Das ABS hat wesentlich zum guten Ruf der Maschinen aus München beigetragen, die ihrerseits immer auch einen willkommenen sportlichen Abglanz auf die Automobile von BMW warfen. Denn was bei Fahrzeugen vom Typ Mercedes der Stern, das ist für BMW das Motorrad – Monstranz der Marke und Symbol all der Werte, für die deutsche Fahrzeugbauer gerne geliebt werden würden.
Es war der Aspekt der Sicherheit, mit dem BMW einer besonders solventen Käuferschicht die Angst vor den Gefahren nehmen konnte – arrivierte Zahnärzte oder Anwälte mittleren Alters, die ihrer Midlife-Crisis in Schräglage zu entrinnen suchen.
Der ehemalige BMW-Chef Eberhard von Kuenheim sah sich einmal sogar zu der maliziösen Bemerkung veranlasst, er sei „lieber Vorsitzender eines Automobil-Konzerns, der auch Motorräder baut“, im Gegensatz zum Konkurrenten aus Stuttgart, der nebenher Geld mit profanen Nutzfahrzeugen verdient.
Bei bejammernswerten Vehikeln wie dem DDR-Zweitakter MZ konnten Fahrer schon mal bauartbedingt zu Tode kommen; der japanische Konzern Honda schickte zu Beginn der Siebzigerjahre mit der ersten Goldwing-Baureihe eine Maschine auf den Markt, die ihre Fahrer bei schnellen Autobahnfahrten abschüttelte – nur den gutmütigen BMW-„Gummikühen“ ist es gelungen, dem unvernünftigsten Fortbewegungsmittel überhaupt eine Glasur von Vernunft zu geben. Als sich alle anderen Hersteller mit immer aberwitzigeren Pferdestärken gegenseitig überboten, hielt sich BMW nicht nur an die freiwillige Selbstbeschränkung der Hersteller auf 100, sondern beharrte jahrelang auf symbolischen 90 PS. Das sei „ausreichend“, hieß es aus München, wo man Entwicklungskosten lieber ins sinnvolle ABS, mit dem, gegen einen deftigen Aufpreis, heute zirka 260.000 Modelle ausgestattet sind. Lohnen tut sich’s, denn: Ein Auto mit blockierenden Reifen hat womöglich einen längeren Bremsweg, ein Motorrad mit blockierenden Reifen aber fällt ganz sicher um.
Bei mehrmaliger Belastung des elektronischen Systems könne es zu einem Spannungsabfall kommen, passiert sei das nur „in der Extremsituation eines ADAC-Sicherheitstrainings“, beschwichtigt BMW.
Nun hat allerdings die Firma mit ihrem 90-PS-Dogma gebrochen, dem sie immerhin mehr als 20 Jahre treu war, und mit der K 1200 S eine Extremsituation von 160 PS auf die Straße gestellt. Die Maschine legt grenzwertige Fahrleistungen an den Tag, und wer sie so benutzt, wie sie gedacht ist, der kommt um häufiges heftiges Verzögern der Fuhre nicht herum. Und dann kann es durchaus eine böse Überraschung sein, wenn die Bremsen in der fünften Spitzkehre plötzlich nicht mehr so toll funktionieren wie in den vier Kurven vorher. Bei der Jagd auf Rekordleistungen haben die Bayern also ein Motorrad gebaut, das seinen eigenen Bremsen überlegen ist – und sich damit von der „Kernkompetenz“ verabschiedet, vernünftige Spielzeuge für vernünftige Menschen zu bauen. Nun bauen sie nur noch Katapulte für tief fliegende Organspender, wie alle anderen auch.