: Wie geht es uns denn heute?
Die Erforschung der Emotionen begann im 19. Jahrhundert – und ist noch nicht abgeschlossen
Von Eiken Bruhn
Eine allgemeine Theorie der Emotionen existiert nicht. Vielmehr beschäftigen sich verschiedene wissenschaftstheoretische Strömungen und Disziplinen mit der Erforschung von Gefühlen, neben der Psychologie sind das unter anderem die Neurowissenschaft, Informatik und Geschichte. Der Emotionsforscher Arvid Kappas nennt vier Wissenschaftler:innen, die für ihn die wichtigsten Grundlagen bei der Erforschung der Gefühle geschaffen haben.
Charles Darwin
Bekannt wurde Darwin für seine Evolutionstheorie, doch auch die systematische Forschung zu Emotionen begründete der britische Naturforscher laut Kappas. Zuvor hätten zwar Philosoph:innen über Gefühle nachgedacht, aber keine Empirie betrieben. Darwin hingegen wertete unter anderem Fotografien von Kindern aus, er verschickte Fragebögen an Reisende und Missionare, die ihm über bestimmte Mimiken an fernen Orten Auskunft geben sollten
Seine daraus gewonnenen Erkenntnisse beschrieb Darwin in seinem letzten Buch „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ aus dem Jahr 1872. Er beschäftigte sich darin mit Gesichtsausdrücken wie beispielsweise der Bewegung der Augenbrauen oder der Oberlippe, die er spezifischen Gefühlen zuordnete und für universell erklärte. Laut Paul Ekman (s. rechts) legte Darwin den Grundstein für die Annahme, dass Gesten kulturspezifisch sind, etwa je nach Kontext Ärger oder Zustimmung bedeuten können.
William James
Im Jahr 1884 veröffentlichte James, einer der Begründer der Psychologie in den USA, seinen bahnbrechenden Aufsatz „What is an emotion?“. Darin stellte er einen Zusammenhang von Gefühl und körperlicher Reaktion her, begriff Gefühle also erstmals als biologische Fakten. Die Auffassung, dass Gefühle körperlichen Reaktionen auf Ereignisse – wie erhöhter Puls oder Gänsehaut – folgen, vertrat etwa zeitgleich der dänische Psychologe Carl Lange, daher wird diese Idee auch als James-Lange-Theorie bezeichnet.
Magda Arnold
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sagt Arvid Kappas, hätten sich Forscher:innen genauer damit befasst, „was Emotionen auslöst und warum unterschiedliche Menschen in der objektiv gleichen Situation andere Emotionen erleben“. Diese „Appraisal“-Theorie (Deutsch: „Bewertung“) habe verschiedene Eltern gehabt, aber die erste, die ihre systematische Forschung dazu veröffentlicht habe, sei 1960 die aus Tschechien in die USA emigrierte Psychologin Magda Arnold gewesen. „Dass ihre Verdienste so selten gewürdigt werden, ist ein typisches Beispiel für männlichen Chauvinismus.“
Arnold habe die Frage gestellt, warum wir in bestimmter Weise auf Ereignisse reagieren. „Es ging ihr um schnelle automatische und intuitive Prozesse, die erkennen, was die Bedeutung eines Ereignisses für das Individuum ist.“ Innerhalb dieser würden verschiedene Reaktionen im Gehirn und im Rest des Körpers ausgelöst. Zentral ist dabei, dass die Bewertung verschieden ausfallen kann: Jemand, der Hunger hat, reagiert anders auf einen Apfel als jemand, der satt ist.
Paul Ekman
Auch außerhalb wissenschaftlicher Kreise bekannt geworden ist die Forschung des US-amerikanischen Psychologen Paul Ekman, den Kappas als „eine Art Superstar“ bezeichnet. Ekman hatte Ende der 1960er Jahre ein isoliert lebendes Volk in Neuguinea studiert. Seine Forschungen dienten als weiterer Beleg dafür, dass die sich in Gesichtsausdrücken spiegelnden Emotionen angeboren sind und daher überall auf der Welt gleich verstanden werden, so wie Darwin es vermutet hatte.
Auch das Team des Pixar-Animationsfilms „Alles steht Kopf“, in dem die Gefühle Wut, Freude, Ekel, Trauer und Angst als Personen dargestellt werden, hat der heute 87-jährige Ekman beraten. Auf seiner Website schreibt Ekman, die Filmemacher:innen hätten verstanden, dass Gefühle rationales Denken nicht stören, wie es lange in der westlichen Gesellschaft angenommen wurde, sondern im Gegenteil dieses organisieren.
Ekmans Hypothesen hätten die Gefühlsforschung sehr lange dominiert, sagt Kappas. Erst seit Kurzem würden seine Annahmen in Frage gestellt – etwa die, dass Gefühle wie automatisierte Prozesse abliefen oder dass man echte von unechten Gefühlsausdrücken unterscheiden könne.
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