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Ein ganz besonderer Saft

Meist ist die nächste Lohnmosterei gar nicht weit. Wer viel Obst gesammelt hat, sollte sich dorthin aufmachen: Es lohnt sich zuzugucken, wie die eigene Ernte sich verflüssigt

von Benno Schirrmeister

Apfelmus ist auch eine Möglichkeit, gerade das gute, das man zwölf Stunden im Ofen bei 80 Grad bäckt. Aber spätestens, wenn die Erntemenge 50 Kilo übersteigt, kommen Ofen-Kapazität und Brotaufstrichbedarf an Grenzen. Und wohin dann mit dem Obst?

Logo, zur Mosterei. Zwar, die niedersächsische Landwirtschaftskammer empfiehlt Dampfentsafter. Aber die zerstören die Enzyme – und bis aufs Vitamin-C auch die restlichen feinstofflichen Werte. Ja, stimmt, Ur-Oma hat das immer so gemacht. Aber weder gesundheitlich noch kulinarisch scheint das heute noch überzeugend, außer, es geht darum, Gelee-Rohstoff zu gewinnen. Die alternative Anschaffung einer feisten Single-Use-Schneckenpresse, die elf Monate im Jahr in der Kammer einstaubt, ist vielleicht auch keine nur schlaue Idee. Zumal dann ja noch die Frage offenbleibt, wie kriege ich das flüssige Obst nun haltbar?

Lohnmostereien sind also die beste Antwort auf einen Überschuss an Äpfeln, Birnen, Quitten: Hier wird ein individuelles, ganz besonderes Getränk daraus gemacht, das wirklich schmeckt wie das Obst, nur nicht so knackig. Und weil sie standardmäßig pasteurisieren, verderben die dort hergestellten Säfte erst nach Jahren. Eine nach Bundesländern geordnete Übersicht des Nabu zeigt: Der Weg zur nächsten ist oft nicht weit. Sinnvoll ist allerdings, entweder vorher anzurufen oder doch wenigstens die Website der Kelterei aufzurufen, gerade dieses Jahr. Denn so mager war der Apfelertrag schon lange nicht mehr wie 2021, wegen der späten Fröste und des kühlen Sommers.

Mosten ist harte Arbeit, viel muss per Hand erledigt werden

Manche haben deshalb den Service eingeschränkt, wie die Fruchtsaft-Spezialisten von der Firma Hagena aus Lutten bei Vechta. Früher war da im Herbst täglich außer mittwochs Apfelannahme, vormittags und nachmittags, 28 Stunden die Woche. Dieses Jahr werden die Früchte nur samstags von 9 bis 12 Uhr angenommen.

Andere haben das Angebot für dieses Jahr komplett gecancelt. „Es war zu wenig“, sagt Lisa Boll von der Dolleruper Destille. „Wir hoffen, das kommendes Jahr wieder anbieten zu können.“ Aber diesmal, „da hätte sich der Aufwand nicht gelohnt“, sagt sie: Mosten ist harte Arbeit, viel muss per Hand erledigt werden. Und das Entsaften ist dort auch nur ein Zusatzgeschäft: Wie der Name schon sagt, profiliert sich Deutschlands nördlichste Mosterei vor allem mit edlen Spirituosen und experimentellen Bränden von Erdnuss bis zum Eau de vie de bière.

„Im Prinzip lohnt es sich dieses Jahr nicht, aufzumachen“, sagt auch Mirko Lunau. Er führt einen Streuwiesen-Obsthof und eine Imkerei nahe dem Schweriner See – inklusive Lohnmosterei. Er bietet den Service trotzdem an, schließlich sei ihm wichtig, „eine Dienstleistung in der Region zu halten“, und da sei Verlässlichkeit wichtig. Die Pflanzen scheinen die Ansicht nicht zu teilen: Um bis zu 85 Prozent weniger Früchte als normal gebe es 2021, sagt der promovierte Biologe. „Von einer meiner Wiesen habe ich 2018 zehn Tonnen Äpfel geholt – diesmal sind es knapp 200 Kilo.“ Das sei der Klimawandel zum Anfassen: „Die Bäume blühen zwei Wochen früher als noch vor 30 Jahren“, erklärt er. Bloß dieses Mal gab es noch ewig lange im Frühling Fröste und der Mai war lausig kalt: Solange es unter 15 Grad ist, bestäuben die Bienen nicht. „Die sind in diesem Mai vielleicht an fünf Tagen geflogen“, sagt Lunau.

Seine Bäume werden nach Demeter-Richtlinie behandelt, seine Säfte dürfen das Siegel auch tragen. Damit durch die Lohnmosterei die Produktion nicht beeinträchtigt wird, habe man „ein strenges Reinigungsprotokoll“, erklärt er. „Unsere Bandpresse ist jeden Morgen jungfräulich.“ Abgefüllt wird meist in Saftbeutel, auch wenn es allmählich eine Sensibilität gebe, dass Plastik nicht so die tolle Lösung ist. „Wir haben also ermöglicht, auch in Flaschen abzufüllen“, erzählt er. „Aber wenn ich den Leuten dann sage, wie viel es kostet, schrecken die meisten davor zurück.“ Die Bereitschaft, in Nachhaltigkeit zu investieren, sei doch sehr verhalten.

Die Mindestmenge Pressgut, die man zur Mosterei bringen muss, schwankt. Auch bei den Betrieben, die garantieren, dass man den Saft aus den eigenen Früchten bekommt. Bei Lunau muss die Charge zum Beispiel wenigstens 50 Kilo betragen. Johannes Scholz in Worpswede im Teufelsmoor verspricht dagegen, dass in seiner Mosterei Fabelsaft auch kleinste Mengen verarbeitet werden. „Die Leute können auch mit einer Handvoll Äpfel kommen“, sagt er. Den Viertelliter „pasteurisieren wir dann natürlich nicht“, sagt er.

„Wir haben kein schlechtes Jahr“, stellt er fest. „Uns hilft die Nähe zu Bremen“, denn: „In der Stadt haben die ein anderes Klima.“ Es sei ein paar Grad wärmer, der Wind greife die Bäume meist nicht so direkt an, „also hier ist genug zu tun“. Wer sein Obst herbringe, der werde in die Saftproduktion eingebunden: Die Äpfel selbst zu sortieren und wirklich zuzusehen, wie sie gepresst werden, das sei ihm wichtig. Familien kämen dafür her, Kindergärten und Schulklassen, „neulich war auch ein Seniorenheim da.“ Zusehen, Selbermachen, „das ist uns wichtig“, so Scholz, „und wir machen gerne Experimente“. Schließlich könne purer Apfelsaft auf die Dauer auch langweilig sein. „Wenn die Leute da mixen wollen, Rote Beete dazu tun oder Gewürze, Zimt, Sternanis und Ingwer – dafür sind wir sehr offen“, sagt er. „Saft ist ja nicht gleich Saft.“

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