kritisch gesehen
: Gut gespielte Klischees

Auch ein schlechtes Theaterstück lässt sich gut aufführen. Es macht Spaß, Judith Goldberg und Frederik Gora zuzuschauen, wie sie unter der Regie von Theo Fransz über ein Baugerüst balancieren, sich anfreunden und sich schließlich auf ein prima Plastebüffet stürzen. Ihre Spielfreude haucht den Reißbrettcharakteren Sammy und Ebenezer Leben ein. Schön ist auch die mit einfachsten Mitteln bewirkte Auflösung der Schmuddelspielplatz-­Szenerie – von Bühnenbildnerin Bettina Weller sparsam skizziert – in einen paradiesischen Palmenstrand.

Sie versöhnt damit, dass Jan Sobrie und Raven Ruëlls „Wutschweiger“ ein so überraschend mieses Stück ist, dessen Riesenerfolg auf Deutschlands Kinder- und Jugendtheaterbühnen man als ein Krisensymptom deuten muss. Das Thema soll Kinderarmut sein. Bloß haben Sobrie und Ruëll ihrem Werk leider nur ein Bild zutiefst bourgeoiser­ Vorstellungen zugrunde gelegt: Der Gemeinplatz, unter dem deutsche Medien Kinderarmut verhandeln, ist der Ausfall der Klassenfahrt. Und Dreh- und Angelpunkt des Stücks? Zwei Kinder unbestimmten Alters können nicht mit auf Schul-Skireise.

Statt hier einen Blick auf die demütigende Maschinerie multipler Antragstellung und wohlmeinend stigmatisierender Zuwendung zu werfen, die so ein Finanzierungsproblem in Gang setzt, bemühen die Autoren 70er-Jahre-­Klischees von schroff zurückweisenden Autoritär-­Lehrkräften und fiesen Rich-kids-Angebervätern. Eine Dramaturgie nach dem Gebot: Du sollst deine Feindbilder lieben.

Gebaut ist das frappierend ungelenk: referiert werden die Vorgänge teichoskopisch, als Mauerschau. Auch dazu, die Ausbrüche aus der behaupteten Realität zu inszenieren lädt der Text nicht ein: Das unoriginelle, aber wirksame Bild, dass die vom sozialen Abstieg gebeutelten Eltern Ebenezers schrumpfen würden, findet nicht zur Bühnenpräsenz. Ebenso ergeht’s der – im Schlusszehntel abgehandelten – titelgebenden Revolte. Die besteht in einem Schweigegelübde der armen Kinder. So ein Schweigen, ja, das könnte Raum nehmen und quälen und lasten. Aber wer will das schon? Also wird’s nur kurz behauptet und weicht dann sozialromantisch der eskapistischen Lösung. Benno Schirrmeister

Wutschweiger: bis 15. 10. sowie 1.–4. 11., tägl. 10.30 Uhr; 16. + 30. 10., 16 Uhr, Bremen, Junges.Theater – Moks