: EM mit verzögerten Ovationen
LATENZ Die einen gucken noch, während die Nachbarn schon jubeln
Am Hackeschen Markt locken neun Flatscreens die Besucher zu den Begegnungen der Fußball-EM. Das Bier ist kalt, die Stimmung gut. Wenn da nur nicht diese verdammten Signalverzögerungen wären.
Cristiano Ronaldo legt sich den Ball zum Freistoß zurecht und spreizt selbstbewusst die Beine, da brüllt von hinten schon die Kommentatorenstimme aus dem Fernseher einer anderen Kneipe: „Schaaaaaade, knapp vorbei!“ Dann erst stürzt der feurige Freistoßkünstler auf den anderen Bildschirmen in Richtung Ball und drischt ihn knapp über die Latte. Fußballfan Carl Eckle und seine Kumpels kennen das Phänomen und sind genervt. „Mittlerweile suchen wir uns extra ein Lokal, in dem wir als Erste jubeln können. Denn wenn du schon hörst, was gleich passieren wird, verdirbt es das Live-Gefühl des Spiels.“
Schuld trägt die Vielfalt
Grund für diese Latenz ist die Vielfalt der Übertragungstechniken. „Vereinfacht gesagt kommt es erst mal darauf an, welches Signal sie empfangen: Satellit, Kabel, DVB-T oder Internet“, erklärt Brigitte Busch, Sprecherin von ARD-Digital. Anfangs ist das Signal für alle gleich. „Vor den Stadien in Polen und der Ukraine steht ein Übertragungswagen, der das Bild- und Tonsignal per Satellit nach Warschau in das Internationale Verbreitungszentrum schickt.“ Von Warschau aus wird das Signal über ultraschnelle Glasfaserleitungen nach Köln geschickt und nach Frankfurt und Potsdam in die ARD-Play-out-Zentren weitergeleitet. „Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Signalunterschiede. Erst ab Potsdam wird das Signal für die verschiedenen Fernsehtechniken aufbereitet“, erklärt Busch. Die Aufbereitung benötigt je nach Technik dann mehr oder weniger Zeit, was sich dann auf den Bildschirmen auswirkt.
All sendet am schnellsten
Es sei bemerkenswert, dass Tore per Satellitenempfang am schnellsten übertragen werden, obwohl das Signal dafür erst 36.000 Kilometer ins Weltall geschossen werden müsse, sagt Busch. Kabel sei minimal langsamer. Über DVB-T-Antenne könne das Tor je nach Entfernung zum nächsten Sendemasten schon ziemlich verzögert sein. Als Letztes ist dann das Internet dran. „Zudem sind die Geräte und Bildschirme im Wohnzimmer absolut entscheidend“, sagt Busch, denn die müssten das ankommende Signal entschlüsseln.
Fußballfreund Eckle hat die Wirrungen der Signalverzögerungen auch bereits in ihrer ganzen Skurrilität erlebt. „Während eines Elfmeterschießens habe ich mit einem Freund telefoniert. Sein Jubel hat mir schon zehn Sekunden vorher verraten, ob der Ball gleich reingeht oder nicht.“ Seine Kumpels hätten Eckle daraufhin den Mund verboten.
Wer aber doch der Erste sein will, der den Europameister kennt, muss Radio hören. Die älteste Technik ist immer noch die schnellste, „da die Frequenzen nicht verschlüsselt werden müssen“, sagt Busch.CONSTANTIN SCHÖTTLE