Das Ziel ist die Infrastruktur

Das Muster der Anschläge deutet darauf hin, dass Terroristen, die aus dem Umfeld von al-Qaida kommen, auch die Urheber dieser Gewalt sind

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Die gestrigen Terroranschläge in London scheinen sich in eine Serie einzureihen, die am 11. September 2001 in New York begann und vermutlich in London nicht enden wird. Zwar gibt es bislang keine endgültige Gewissheit, dass die Attentäter aus dem Kreis islamistischer Fundamentalisten kommen, doch viele Indizien sprechen dafür.

Anschlagsziel war wie in Madrid im März 2004 das Verkehrssystem. Damit wurde fast die gesamte Innenstadt lahm gelegt, ein Muster, das in Madrid ebenfalls zu beobachten war. Noch auffälliger aber ist der Zeitpunkt. In Madrid gingen die Bomben unmittelbar vor den Wahlen hoch und verhinderten damit den bereits sicher geglaubten Wahlsieg der Konservativen. In London nun ist der klare Adressat der Anschläge der zeitgleich in Schottland stattfindende G-8-Gipfel.

Ein ähnliches Muster, gekoppelt mit einer klaren politischen Botschaft, findet sich auch bei den Terrorattentaten in Istanbul im November 2003. Zunächst wurden von den islamistischen Terroristen zwei Synagogen angegriffen, um gegen die Zusammenarbeit der Türkei mit Israel zu protestieren.

Noch klarer war die Botschaft eine Woche später. Erneut gehen Bomben hoch. Das eine Ziel ist die britische HSCE Bank, das andere das britische Generalkonsulat.

In beiden Fällen wurden mit Sprengstoff beladene Autos benutzt, die die Fahrer als Selbstmordattentäter in die Gebäude steuerten. Just zum Zeitpunkt dieser Anschläge trafen sich George Bush und Tony Blair zu einem Kriegsgipfel in London, um über das weitere Vorgehen im Irak zu beraten. Damals war bereits vermutet worden, dass die Attentate eigentlich in London hatten verübt werden sollen, al-Qaida aber aus logistischen Gründen die britischen Einrichtungen in Istanbul ausgewählt hatte.

Die anderen, islamistischen Fundamentalisten zugerechneten schweren Anschläge seit dem 11. September 2001 sind schon deshalb nicht direkt mit London, Madrid oder Istanbul zu vergleichen, weil sie weitab von europäischen Metropolen stattfanden und auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit politischen Großereignissen standen.

Bei den Attentaten in Saudi-Arabien im Mai 2003 und 2004 waren westliche Einrichtungen und/oder Staatsangehörige aus westlichen Ländern, die im saudischen Ölgeschäft arbeiteten, das Ziel der Attentäter. Auch dort gab es eine klare Botschaft: Verschwindet aus unserem Land. Die Anwesenheit Ungläubiger, gar ungläubiger ausländischer Soldaten in Saudi-Arabien, hatte Ussama Bin Laden ja mehrfach heftig beklagt.

Alle anderen schweren Attentate mit islamistisch-fundamentalistischem Hintergrund in Djerba, Bali oder Casablanca, galten westlichen Touristen. Ob die Attentäter mit ihrem Terror gegen Touristen dabei hauptsächlich innenpolitische Ziele in Indonesien und in Marokko verfolgten, oder tatsächlich in Absprache und im Auftrag eines übergeordneten Netzwerkes handelten, ist immer noch strittig. Die Bombenleger kamen jedenfalls jeweils aus lokalen islamistischen Zusammenhängen und befanden sich mit ihren jeweiligen Regierungen im Konflikt.

Als Gemeinsamkeiten mit den anderen Attentaten wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um zivile, schwer zu schützende Ziele wie Diskotheken (auf Bali) handelte, und auch hier immer mehrere Sprengsätze entweder gleichzeitig oder in kurzen Abständen zum Einsatz kamen.

Einen ganz anderen, vermutlich von al-Qaida völlig unabhängigen Hintergrund, haben die Terrorangriffe von Islamisten in Russland. Auch wenn der ebenfalls in Schottland anwesende russische Präsident Putin sicher wieder auf den gemeinsamen Kampf gegen den Terror hinweisen wird, waren sowohl die Geiselnahme im Moskauer Theater wie auch die Geiselnahmen in der Schule in Beslan das Werk tschetschenischer Attentäter, die mit diesen Terroraktionen auf den Terror in ihrer Heimat antworteten. Während also in Russland eine politische Lösung zumindestens denkbar wäre, ist dies gegenüber den Attentätern, die vermutlich für den Terror in London verantwortlich sind, ungleich schwieriger.

Überraschen können die Anschläge in London gleichwohl kaum jemanden. Gerade Blair und seine Regierung als Besatzer des Irak gelten für die Attentäter, sollten sie denn aus dem Al-Qaida-Zusammenhang kommen, natürlich als klarer Kriegsgegner. Deshalb ist es eher verwunderlich, dass die Londoner Bevölkerung erst jetzt Opfer der selbst ernannten Gotteskrieger wurden.