: Das erste Festival: ein Testlauf für den ganzen Norden
Das 28. Internationale Filmfest Oldenburg findet fast wie vor Corona statt. Als mutiger Saisonstart dürfte es von Lübeck bis Braunschweig genau beobachtet werden
Von Wilfried Hippen
„Nehmen Sie die rote oder die blaue Pille?“, fragt der Schauspieler Hardy Daniel Krüger im Trailer zum diesjährigen Oldenburger Filmfest mit viel Pathos und direktem Blick ins Publikum. Dies ist ein Zitat aus dem Science-Fiction-Film „Matrix“: Mit der roten Pille wählt man ein gefährliches Leben. „Take the Red Pill“ ist das Motto der 28. Ausgabe des Oldenburger Filmfestivals, das zwischen dem 15. und 19. September stattfindet. Sonderlich gefährlich wird es für die Festivalbesucher*innen aber hoffentlich nicht werden, denn natürlich gilt in den Festivalkinos das Hygienekonzept mit der 3G-Regelung und wie schon im vergangenen Jahr kann man die Filme auch online ansehen.
Es ist das erste norddeutsche Festival dieser Saison. Weil aber Hamburg, Osnabrück, Braunschweig, Lübeck und Emden in den nächsten Wochen folgen, dürfte das in Oldenburg als eine Art Testlauf genau beobachtet werden.
In diesem Jahr gibt es wieder eine Eröffnungsgala in der Weser-Ems-Halle. Es wird also wieder etwas mehr gefeiert werden als 2020, als nur sogenannte Wohnzimmer-Galas stattfanden, die bei Oldenburger*innen zu Hause veranstaltet und online übertragen wurden. Nicht mehr als Notlösung, sondern als Kuriosität wird das in diesem Jahr weitergeführt, wie auch die Filmvorführungen in der Justizvollzugsanstalt der Stadt unter dem Motto „Kino im Knast“.
Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass vorsichtig wieder zum „normalen“ Festivalbetrieb zurückgekehrt wird. Gezeigt werden 39 Filme, darunter der Überraschungssieger von Cannes, „Titane“ von Julia Ducournau, und Stefan Jägers „Monte Veritas“ – ein historischer Kostümfilm über die Künstlerkolonie am Lago Maggiore, der vor ein paar Wochen beim Filmfestival von Locarno seine Premiere hatte.
Mit dem Prädikat „Weltpremiere“ kann auch Oldenburg zumindest beim Eröffnungsfilm am nächsten Mittwoch protzen: „Leberhaken“ von Thorsten Ruether spielt im Berliner Boxermilieu und erzählt „in Echtzeit“ von einer einzigen Nacht. Die Handlung wurde ohne Unterbrechungen in mehreren Durchläufen mit jeweils zwei Kameras aufgenommen, also nicht ganz so akrobatisch, wie es Sebastian Schipper mit einer einzigen, ungeschnittenen Aufnahme vor einigen Jahren bei „Victoria“ versuchte. Auch dort spielt Hardy Daniel Krüger eine der Hauptrollen – und wird damit so was wie das diesjährige Maskottchen des Filmfests sein.
Diese Rolle hatte in vergangenen Jahren auch schon der Berliner Filmemacher Rolf Peter Kahl gespielt, der regelmäßig seine neuesten Filme in Oldenburg zeigt und in diesem Jahr mit „Als Susan Sontag im Publikum saß“ zumindest den originellsten Filmtitel des Festivalprogramms beisteuert. Kahl inszenierte dafür auf einer Theaterbühne eine berühmte Paneldiskussion nach, die vor 50 Jahren in New York zum Thema „womens lib“ stattfand und in der er selbst den Macho Norman Mailer spielt.
Besonders spannend sind in Oldenburg immer die Retrospektiven, mit denen der Festivalleiter Torsten Neumann Rebellen des unabhängigen Kino vorstellt. Dort kann man erstaunliche Entdeckungen machen – in diesem Jahr etwa die Filme von Ovidio G. Assonitis, dessen Name wohl nur den nerdigsten Genrekenner*innen ein Begriff sein dürfte. Der Produzent und Regisseur Assonitis hat im Italien der 1970er- und 1980er-Jahre Filme mit so schönen Titeln wie „Who Saw Her Die“ „Beyond The Door“ und „Tentacles“ inszeniert, bei denen er hemmungslos Genreklassiker wie „Der Exorzist“ oder „Der Weiße Hai“ kopierte. Der von ihm produzierte „Piranha 2 – The Spawning“ war aber immerhin das Regiedebüt von James Cameron. Assonitis wird beim Filmfest zu Gast sein und jeweils vor den Vorführungen seiner Filme kurze Einleitungen geben. Und die sind in Oldenburg oft ebenso unterhaltsam wie die Filme selbst.
Internationales Filmfest Oldenburg: 15. bis 19. 9., verschiedene Spielorte in Oldenburg. Programm auf www.filmfest-oldenburg.de
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