Künstler eines Jahrhunderts

Der tschechische Dokumentarfilm „Mucha – Zwischen Popkunst und Slawischem Epos“ von Roman Vávra wurde teils in Bremen produziert und wird darum ein paar Mal in der Stadt gezeigt. Verdient hätte er sehr viel mehr Aufmerksamkeit

Zwischen Harmonie und Inszenierung: Alfons Mucha und Familie vor Schloss Zbiroh in Mähren Foto: Mucha Foundation

Von Wilfried Hippen

Er war befreundet mit den ersten Filmemachern, den Gebrüdern Lumière, und einer der Figurendesigner der Computerspiel-Reihe „Final Fantasy“, Yoshitaka Amano, zählt ihn zu seinen größten Vorbildern. Sarah Bernhardt, die erste Schauspielerin, die als internationaler Star vergöttert wurde, glaubte, erst durch seine Plakate unsterblich geworden zu sein, und in den 1960er-Jahren entwarf der Grafikdesigner Stanley Mouse Plattencover für Janis Joplin und The Greatful Death, die kaum mehr als umgearbeitete Plagiate seiner Jugendstil-Poster waren. Alfons Mucha ist ein Jahrhundertkünstler in dem Sinne, dass sein Einfluss im gesamten 20. Jahrhundert spürbar war. In Tschechien ist Mucha darum ein Volksheld – während ihn in Deutschland kaum jemand kennt. Und so wurde in Tschechien mit „Mucha“ der bisher teuerste Dokumentarfilm des Landes produziert, während er hier gerade für ein paar Tage im Bremer Kommunalkino City 46 läuft. Und dies auch nur, weil Koproduzent Peter Roloff, Filmmusiker André Feldhaus und Animator Rainer Ludwigs zur Bremer Filmszene gehören.

Der Film hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, denn „Mucha“ ist ein grandios inszeniertes Künstlerporträt. Wie bei allen gelungenen Werken dieser Gattung erzählt es nebenbei auch etwas von der Kulturgeschichte und dem Lebensgefühl der Zeiten, in denen der Pro­tagonist lebte und wirkte. Und deshalb ist es letztlich auch gar nicht so wichtig, ob man schon mal etwas von Alfons Mucha gehört hat, diesem tschechischen Maler, der von 1860 bis 1939 lebte und mit seinen Plakaten einer der Pioniere des Jugendstils wurde. Im Paris der Belle Époche kannte er tout le monde und er machte einige Säulenheilige der Moderne sehr komisch herunter. So waren Paul Gauguin und Vincent von Gogh für ihn „alles Wilde“. Und er wusste, wovon er sprach, denn mit dem damals noch bettelarmen Gauguin teilte er sein eigenes luxuriöses Atelier.

Der persönliche, sehr unterhaltsame Ton der Dokumentation kommt auch daher, dass Muchas Lebensgeschichte von seinem Sohn, Jiří Mucha, erzählt wird. Dieser war ein Lebenskünstler und Schriftsteller, der ein Buch mit Erinnerungen an seinen Vater schrieb. Und daraus bedient sich Filmemacher Roman Vávra ausgiebig. Und da auch der Sohn ein interessantes Leben führte, wird immer mal wieder zu dessen eigener Lebensgeschichte abgeschweift. Etwa wenn er erzählt, wie und warum er unter dem Regime des tschechoslowakischen Stalinismus für drei Jahre im Gefängnis landete oder wie er in den liberalen 1960er-Jahren in seiner Wohnung in Prag dekadente Partys veranstaltete.

Darüber, wie er später als Informant für die Staatssicherheit arbeitete, hätte man gern noch mehr erfahren, aber dann wäre der Film wohl zu lang geworden. Denn die wichtigere Geschichte ist nun einmal die von Alfons Mucha und die wird mit der Zeit immer politischer und tragischer.

Die mit dem Film verwobenen Originalbilder sollen nicht Realität vorgaukeln, sondern Atmosphäre und Stimmung nachgehen

Nachdem Mucha ein Plakat für eine Theaterinszenierung für Sarah Bernhardt entwarf und damit einen völlig neuen Stil der Werbe-Illustration schuf, wurde er in Paris extrem erfolgreich. Aber er wollte richtige Kunst machen, also Bilder malen – und dies nicht für die Franzosen, sondern für seine tschechischen Landsleute.

So wurde das „Slawische Epos“, ein Projekt mit 20 riesigen Bildern, zu seinem Opus magnum. Nur um Geld dafür aufzutreiben, reiste er in die USA, und schließlich arbeitete er 18 Jahre lang an diesem Monumentalwerk. Und als er es schließlich im Jahr 1928 fertigstellte, war es zu spät, denn es war sowohl stilistisch wie auch politisch aus der Mode gekommen. Der Patriot wollte es dem tschechischen Volk schenken, doch das fragte nur: „Wohin damit?“

Mucha ist nie über diese Enttäuschung hinweggekommen. Er starb 1939, kurz nachdem die Deutschen in Prag einmarschiert waren. Erfolgreich wurde er posthum – zuerst mit seinen verspielten Jugendstilplakaten, die in den 1960er-Jahren in Mädchenzimmern so beliebt waren wie die Poster von Che Guevara. Schließlich wurde er auch als Maler entdeckt und das „Slawische Epos“ sahen 2017 bei einer Ausstellung in Japan über 650.000 Besucher*innen.

Erst nach dem Tod des Künstlers wurden sie richtig angesagt: Jugendstil-Plakat von Alfons Mucha Foto: Mucha Foundation

Alfons Mucha war ein visionärer visueller Künstler, sein Sohn Jiří Mucha ein gewitzter und origineller Geschichtenerzähler – ein konventioneller Porträt-Film wäre beiden Talenten nicht gerecht geworden. Dieser Herausforderung stellte sich der Regisseur Roman Vávra, indem er spielerisch mit vielen verschiedenen Stilmitteln des Kinos jongliert. Ständig wechselt er zwischen Muchas Bildern, Fotos und Originalaufnahmen von seinem Sohn, nachgestellten Szenen und kurzen Animationssequenzen. Zu den Passagen aus dem frühen 20. Jahrhundert inszenierte er im Stil der noch sehr grob fotografierten Stummfilme jener Zeit – etwa denen der Gebrüder Lumière, die auch selbst einen kurzen Auftritt haben.

Auch bei den Sequenzen zu anderen Zeitaltern trifft er genau den jeweiligen Stil. Dabei sind seine Nach-Inszenierungen so kurz und geschickt mit dem historischen Originalbildern verwoben, dass sie nie „nachgemacht“ wirken, denn mit ihnen soll keine Realität vorgegaukelt werden – stattdessen vermitteln sie Atmosphäre und Stimmungen. Das Gleiche gilt für die Trickfilmsequenzen von Rainer Ludwigs, der das Problem hatte, dass er Szenen aus dem Leben eines Meister­illustratoren illustrieren sollte. Er löste dieses Dilemma, indem er nicht den Stil von Muchas Plakaten und Gemälden kopierte, sondern sich stattdessen von dessen sparsamen und kaum bekannten Skizzen inspirieren ließ. So wirken diese kurzen Einstellungen, in denen etwa Mucha bei seiner Arbeit im Atelier zu sehen ist, transparent und wie mit dem Bleistift gezeichnet. Als musikalische Begleitung dazu spielte André Feldhaus ähnlich minimalistische Leitmotive auf seinen Keyboards sowie mit drei Mu­si­ke­r*in­nen auf Geige, Cello und Trompete ein.

Ein regulärer Kinostart des Films war im Herbst vergangenen Jahres geplant. Er wurde aber durch den zweiten Lockdown unmöglich gemacht. Jetzt hat der Film nur noch die Chance, „langsam durch die Kinos zu tingeln“. So sagt es zumindest der deutsche Koproduzent Peter Roloff. Am heutigen Donnerstag stellt er den Film persönlich im Rahmen eines Heimspiels des Bremer Filmbüros im City 46 vor. Dort wird er in den nächsten beiden Wochen noch elfmal wiederholt.

„Mucha – Zwischen Popkunst und Slawischem Epos“. Regie: Roman Vávra, Tschechien/Deutschland 2020, 95 Minuten