heute in hamburg: „Nicht-Nachhaltigkeit führt ins Chaos“
Podiumsdiskussion „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“: 19 Uhr, online auf www.akademie-nordkirche.de, Anmeldung bis 16 Uhr unter: hamburg@akademie.nordkirche.de
Interview Alexandra Hilpert
taz: Herr Blühdorn, die Veranstaltung morgen trägt den Titel „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“. Was ist damit gemeint?
Ingolfur Blühdorn: Das ist ganz bewusst widersprüchlich und provokativ formuliert. Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit meint, dass das Festhalten an dem Vertrauten im Moment sehr viel stärker ist als die Bereitschaft, das vertraute infrage zu stellen. Dabei ist uns klarer denn je, dass der Zustand der Nicht-Nachhaltigkeit, in dem wir im Moment leben, auf Dauer nicht aufrechterhalten werden kann.
Sind die Menschen zu bequem, um sich für ein nachhaltiges Leben zu entscheiden?
Das wäre eine eindimensionale Betrachtung. Lange Zeit hat es einfach an Wissen und Verständnis gefehlt. Das Bewusstsein war in der Öffentlichkeit lange nicht da. Zudem stemmen sich die Reichtumseliten und kapitalistischen Firmen mit aller Kraft gegen tiefgreifende Veränderungen. Noch finden sich keine demokratischen Mehrheiten für den Ausstieg aus dem, was wir als unsere Werte und unseren Lebensstil bezeichnen. Der derzeitige Wahlkampf ist ein gutes Beispiel.
Ist die Schlussfolgerung, dass Nachhaltigkeit und Demokratie nicht miteinander vereinbar sind?
Dass sich im Moment keine Mehrheiten für einen Wandel finden, bedeutet nicht automatisch, dass Nachhaltigkeit in autoritären oder autokratischen Systemen besser funktionieren würde.
Was müssten die Menschen tun, damit unsere Gesellschaft nachhaltiger wird?
Es wird häufig behauptet, die Verantwortung liegt bei den Einzelnen. Menschen hätten mit ihren Kaufentscheidungen alles in der Hand. So wird die Verantwortung in die Hände von Individuen gelegt. Das ist grundsätzlich falsch. Denn auch für den Markt müssen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Regulierungen und Verbote sind völlig normal. Ohne sie würde die Gesellschaft sofort zusammenbrechen. Damit eine sozialökologische Transformation gelingt, muss man einen ordnungspolitischen Rahmen für die Nachhaltigkeitswende schaffen.
Ingolfur Blühdorn
57, Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit in Wien.
Was müsste passieren, damit solche politischen Maßnahmen mehrheitsfähig werden?
Die Menschen müssten Abschied nehmen von der Logik des Wachstums, vom Alleinvertrauen auf das Marktmodell und auf technologische Innovationen. Lediglich politische Anreize zu schaffen, reicht nicht aus. Umweltschädliche Subventionen sind langfristig nicht haltbar. Stattdessen braucht es politische Begrenzung. Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen wieder mehr auf die Politik anstatt auf das Marktgeschehen vertrauen.
Ein solcher Abschied vom jetzigen Lebensstil könnte vielen schwerfallen.
Man muss sich klarmachen, welche Konsequenzen es hat, wenn wir uns davon nicht verabschieden. Nicht-Nachhaltigkeit führt langfristig ins Chaos. Der Versuch, den jetzigen Zustand aufrechtzuerhalten, bedeutet den ökonomischen, ökologischen, demokratischen, sozialen und kulturellen Zusammenbruch. Schon jetzt ist eine Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft spürbar. Unsere Demokratien sind nicht haltbar, wenn wir an der Logik der Ungleichheit festhalten.
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