: Kleinstadt mit Fliesenszene
SOMMER IM MUSEUM (I) In Boizenburg steht das erste Deutsche Fliesenmuseum – die örtliche Fliesenfabrik war die größte in Europa. Und auch sonst ist das gut erhaltene Elbstädtchen einen Rundgang wert
Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder – gut versteckt – die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.
Mecklenburgs Kleinstädte sind schön – und die frühere Kreisstadt Boizenburg ist es auf eigene Weise: Immer wieder tun sich hübsche Blickfluchten auf; das Netz aus Gässchen und Straßen mit meist behutsam renovierten Häusern nimmt einen schnell gefangen. Klar, dass ein schönes Rathaus auf dem Markt steht, die (leider verschlossene) große Kirche fehlt nicht, und wie es scheint, kam niemand in Versuchung, die kopfsteingepflasterten Innenstadtstraßen in geteerte Rennpisten zu verwandeln. Und das Elbstädtchen kurz hinter der verschwundenen Grenze im Mecklenburgischen hat eine besondere Rarität zu bieten: ein Fliesenmuseum.
Wer mit den offenen Augen des Fremden durch die Stadt geht, sieht immer wieder kleine Bilder aus Fliesen an den Häusern – die Gesundheitsschutzgöttin „Hygieia“ in der Nähe einer Apotheke, am Bäcker ein Täfelchen, das auf die lange Geschichte des Handwerks im Haus hinweist – kein Zufall, wie ein erster Rundgang durch das Fliesenmuseum zeigt.
Seit Anfang des letzten Jahrhunderts gibt es einen Fliesenhersteller in Boizenburg, zeitweise sei er der größte in Europa gewesen, erfährt man. Der Maler und Grafiker Rudolf Matz hat als Designer im Werk gearbeitet, sein Kollege Klaus Schiller als Ingenieur – nun gehören sie zu den Akteuren des Museums. Gerade entsteht noch ein Keramikstudio, die ersten Geräte zum Fliesenherstellen sind schon da.
Fliesen seien ein Kulturgut, sagt Schiller. Und der genauere Blick zeigt schnell, wie recht er hat: Die Gemälde sind nicht nur in zwei Dimensionen gehalten – mit Spezialtechnik ist es möglich, auch erhabene Elemente zu zeigen. Es geht um Details: Das verlaufende Grün in einem Blatt, der geänderte Zuschnitt der Fliesen, um ein Gesicht nicht durch die Kante zu „zerstören“.
Sie wollten zeigen, dass es bei Fliesen durchaus um Kunstwerke gehe, sagen die beiden Männer. Dabei sei es wichtig, sie nicht „dicht an dicht“ zu hängen, sondern dem Auge des Betrachters Raum zu lassen.
Es gibt eine eigene Fliesenszene, und die Boizenburger veranstalten im Herbst ihre Sammlerbörse. „Es ist wie bei den Briefmarkensammlern“, sagt Matz. So wie Maler und Grafiker Ausstellungsräume suchten, täten es Fliesensammler – auch international. Die Boizenburger haben Kontakte in die „Fliesenländer“ Belgien und Holland – Wanderausstellungen inbegriffen. Der eigene Fundus sei klein, sagt Matz. Zeitweise haben sie dazu aufgerufen, historisch wertvolle Fliesen vor Bauarbeiten zu retten. Allzu viel Reaktionen gab es darauf nicht. Dabei ist das Museum durchaus wichtig für die Stadt, laut Bürgermeister Harald Jäschkees bringt es rund 3.000 Besucher im Jahr.
Man kann sich auf mindestens zwei Arten diesen kleinen und großen Kunstwerken nähern. Entweder, man greift sich Themen heraus: Eine Dauerausstellung zeichnet die Geschichte der Boizenburger Fliesen nach, eine Dauerleihgabe der Sammlung Ludwig stellt niederländische Schmuckfliesen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert vor. Wer will, kann aber auch die Kunst des belgischen Jugendstilmeisters Henry van de Velde bestaunen oder die von Guillaume Janssens – wie in einem Triptychon zeigt er eine kleine, wandernde Familie.
FRANK BERNO TIMM
Erstes Deutsches Fliesenmuseum Boizenburg e. V., Reichenstraße 4, Di–Fr 10–16 Uhr, Sa + So 14–16 Uhr, www.jugendstilfliesen-museum.de