: Inhumane Vollzugspraxis
Im Kreis Segeberg wurde der Kurde Murat Savas nachts aus seinem Bett in einer psychiatrischen Klinik geholt und in die Türkei abgeschoben. Es ist der zweite Fall dieser Art innerhalb kurzer Zeit
von Esther Geißlinger
In der Sache sind sich der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und der Sprecher des Innenministeriums, Thomas Giebeler, einig: Dass ein Mensch aus einem Krankenhaus heraus abgeschoben wird, ist ein neuer, ein bisher einmaliger Fall in Schleswig-Holstein. Betroffen war der 32-jährige Kurde Murat Savas, der mitten in der Nacht – angeblich, um ein Flugzeug zu erreichen – aus dem Bett in der psychiatrischen Klinik Rickling geholt wurde. Dort ließ Savas seine von den Ärzten zweifelsfrei diagnostizierten posttraumatischen Symptome behandeln. Diese sind die Folgen von Folter in einem türkischen Gefängnis.
In der Bewertung des Vorgangs weichen Giebeler und der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, Martin Link, aber voneinander ab. Während Link die „restriktive, gegen kranke ausreisepflichtige Menschen gezielte Vollstreckungspraxis“ anprangert, will Giebeler im Moment gar nicht viel dazu sagen.
Tatsächlich hat sein Haus die nächtliche Aktion auch nicht angeordnet: Zuständig für den „Verwaltungsvollzug“ ist der Kreis Segeberg. Der hat sich vor kurzem schon einmal durch eine ungewohnt harte Abschiebung in die Schlagzeilen gebracht. Im Mai war Familie Özdemir betroffen, die Mutter, ein Folter- und Vergewaltigungsopfer, wurde ebenfalls wegen posttraumatischer Störungen behandelt. Auch dort kam die Abschiebebehörde nachts.
In beiden Fällen hätte es sicher Spielräume gegeben. So hätte die Behörde Savas so lange dulden können, bis der Mann allein die Ausreise hätte antreten können, so schlägt es ein Erlass des Innenministeriums vor. „Aber das war ja nicht gewollt“, kommentiert Martin Link die Verfahrensweise der Kreises.
An den verweist auch Thomas Giebeler. Allerdings ist inzwischen das Innenministerium in den Fall einbezogen. Zwar schiebt das Land nicht selbst ab, aber das Land ist die Aufsichtsbehörde für die Kreise. Wenn dort also etwas schief läuft oder ein Gesetz falsch ausgelegt wurde, hat sich das Land dem anzunehmen und muss sich dazu äußern.
„Wir haben eine Stellungnahme des Kreises angefordert“, berichtet Giebeler. Die werde nun im Haus geprüft. Besonders geht es um die Frage, ob es rechtens war, Murat Savas aus dem Krankenhaus herauszuholen, ein Vorgang, gegen den auch die Klinik in Rickling protestierte. Das Innenministerium werde auf jeden Fall ein klares Votum abgeben, versprach Giebeler. Das dauert allerdings: Minister Ralf Stegner (SPD) will sich persönlich darum kümmern, ist aber zurzeit im Urlaub. „Die Zeit haben wir, denn es ist ja nichts mehr zu retten, der Mann wurde ja bereits abgeschoben“, erklärt Giebeler.
Auf keinen Fall aber bedeute das Vorgehen im Kreis Segeberg, dass in Schleswig-Holstein ein härterer Kurs eingeschlagen wird. Stegner hatte mehrfach betont, er wolle „die schleswig-holsteinische Linie einer humanen Ausländerpolitik“ fortsetzen. An die Behörden im Land appellierte er, „Spielräume im Sinne eines humanitären Umganges zu nutzen“, erinnert sein Sprecher Giebeler. In der Innenministerrunde wollte Stegner sich dafür einsetzen, lange in Deutschland lebenden und integrierten Ausländern ein Bleiberecht zu geben. Viele dieser Menschen erhalten zurzeit immer wieder befristete Duldungen, ohne je einen stabilen Zustand zu erreichen, der gerade für traumatisierte Flüchtlinge nötig ist.
Auch Murat Savas hätte von einer solchen Regelung profitiert: Er hatte mehrere Jahre in einer Vollzeitstelle gearbeitet, seine beiden Kinder wurden in Deutschland geboren. Als sein Asylantrag am Ende abgelehnt wurde, verlor er die Arbeitserlaubnis und damit den Job und seine Familie musste wieder staatliche Hilfe beziehen.
Wo Murat Savas nun ist, weiß seine Familie nicht: Jegliche Versuche, mit Savas Kontakt aufzunehmen, seien bislang gescheitert, sagte Savas’ Neffe H. Özel gestern zur taz. „Niemand weiß, wo er ist.“ Außerdem lebe Savas’ Familie nun in der Angst, „jeden Moment abgeschoben zu werden, da sie von den Behörden keine Duldung bekommen haben“. Die Familie traue sich nun nicht, in ihre Wohnung zurückzukehren. Außerdem würde die Familie dringend ärztliche Hilfe benötigen, könne aber keinen Arzt aufsuchen – aufgrund der nicht vorhandenen Duldung.