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Kunst, wie Bäume eingepflanzt

Kulturhauptstadt 2025 ist Hannover nicht geworden. Die Stadt hätte auf ihre Kunst im öffentlichen Raum setzen sollen. Die ist zwar etwas in die Jahre gekommen, aber auch spektakulär. Nun nimmt eine neue Kulturstrategie sie in den Blick. Ein neues Vermittlungsprogramm gibt es auch

Von Bettina Maria Brosowsky

Hätte der Stadt Hannover noch das Feuerwerk eines Kunstfestivals im öffentlichen Raum zum Erfolg ihrer Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europas 2025“ verholfen? Glaubt man den Nachrichten aus Chemnitz, der Stadt, die Ende 2020 dann den Zuschlag erhielt, hat gerade das dortige Sommerkunstprogramm „Gegenwarten“, das zwölf Interventionen internationaler Künst­le­r:in­nen in städtebaulich und räumlich teils problematischen Ecken der Stadt versammelte, den letzten Ausschlag gegeben. „Kunst im öffentlichen Raum kann dazu beitragen, versteckte Qualitäten in einer Stadt zu entdecken, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, diese synergetisch zu verknüpfen und damit sowohl vergessene als auch neue Geschichten zu erzählen“ hieß es zum Programm.

Gut, die niedersächsische Landeshauptstadt wird wahrgenommen, wenngleich eher als langweilig oder „aufregend unaufgeregt“, so eine aktuelle Werbekampagne. Aber sie könnte auch mit ihrer Kunst im öffentlichen Raum argumentieren. Denn zumindest kann sie auf eine interessante Historie zurückblicken, die in schöner Chronologie verschiedene ideologische Phasen und ästhetische Programme sowie einen respektablen Bestand auch prominenter Objekte aufzubieten hat, darunter allein über 180 im Eigentum der Landeshauptstadt.

Viele Namen Beteiligter lesen sich wie das Who’s who der Nachkriegs- bis Gegenwartskunst: Von Alexander Calder stammt der rote Hellebardier gegenüber dem Sprengel-Museum, das „Schottische Kreuz“ im Maschpark hinterm Rathaus von Henry Moore, „L’Air“ auf dem Georgsplatz von Aristide Maillol, die „Stehende Figur“, 2018 zurückversetzt an die Kreuzkirche, von Fritz Wotruba. Für den nächtlichen Kunstgenuss gibt es noch Lichtinstallationen an Gebäuden, etwa von Christoph Rust, Joseph Kosuth oder Angela Bulloch.

Nach den autonomen Werken großer Namen während der 1960er-Jahre, die einen Teil des prominenten Nachlasses bestreiten, durchwehte ein Demokratisierungsschub der 1970er-Jahre auch die hannoversche Kunstpolitik. Ein Meilenstein war der Ratsbeschluss vom Mai 1970, über drei Jahre ein „experimentelles Straßenkunstprogramm für alle Formen der bildenden Kunst“ zu veranstalten. Die Stadt stellte ein Millionen-Budget bereit, eine Kunstkommission aus Oberstadtdirektor, Sammler Bernhard Sprengel und Vertretern des Kunstvereins wurde mit der Durchführung betraut. Stationäre, temporäre und aktionsorientierte Kunst sollte im öffentlichen Raum so selbstverständlich werden wie seine Grünflächen: Kunst, wie Bäume eingepflanzt.

Nach dem Aufschlag mit einem Altstadtfest im August 1970, der auch vor Populärem wie Prinzengarde oder Weinkönigin nicht zurückschreckte und gerade in dieser bunten Mischung überregionales Medieninteresse wie lokale Begeisterung entfachte, versandeten die Aktivitäten wieder. Oder besser: Sie verschoben sich erneut zur etablierten, sogenannten Sockelkunst möglichst berühmter Schöpfer:innen, vermittelt von Galeristen, gespendet von privaten oder institutionellen Förderern.

Kunstvereinsdirektor Manfred De la Motte zürnte, denn kaum gestartet, sah er seinen Traum der Straßenkunst „auf der Konsumpiste“ zerschellt, wie es eine Chronik des Hauses überliefert. Andererseits: Riesig wurde das Interesse von Pablo Picasso, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Konsorten, für die Leinestadt kreativ tätig zu werden, dann auch nicht.

Mittelstreifenkunst

Aber all diesen Ambitionen verdankt Hannover immerhin seine Skulpturenmeile zwischen Waterloo- und Königsworther Platz, die wie ein Freilichtmuseum auf 1.200 Metern Länge acht großdimensionierte Plastiken arrangiert sowie im Umfeld Weiteres aufzubieten hat. Allerdings ist es im Wesentlichen dann sogenannte Mittelstreifenkunst auf der Grüninsel einer sechsspurigen Fahrbahn: für Fußgänger unattraktiv, aus dem fahrenden Auto leider auch ohne kinetisch konzeptuellen Erlebniswert.

Zu besagter Meile zählen aber auch die poppig bunten „Nanas“ von Niki de Saint Phalle am Leibnizufer, die 1974 den Anfang machten. Diese drei kraftvoll üppigen Frauen- oder Mutterfiguren mit den Namen historisch bedeutender Hannoveranerinnen – Sophie, Caroline und Charlotte – wurden zu Beginn kontrovers in der Bevölkerung diskutiert, dann zum Wahrzeichen der Stadt.

1990, mit dem Zuschlag zur Expo 2000, starteten neue Programme, nun unter Federführung des Sprengel-Museums, mit neuerlich verschobenem Schwerpunkt. Kunst im öffentlichen Raum bedeutete nun etwa auch ein Projekt wie „Busstops“: Zwölf flamboyante Unterstände für neun verschiedene Haltestellen wurden ab 1994 von international renommierten Ent­wer­fe­r:in­nen realisiert. „Kunst als außergewöhnlicher Teil einer gewöhnlichen Dienstleistung“, so Linienbetreiber Üstra, sollte eine Ästhetik des Ab-Wartens kreieren. Die Stadt nahm in einem eigenen Programm noch 82 öffentliche Plätze unter die Lupe, ließ in einem ini­tialen Rutsch 22 um- oder erstmals bewusst gestalten, so den Ernst-August-Platz vor dem Bahnhof.

Danach erlahmte die Kunst im öffentlichen Raum, Grenzen zu den Disziplinen Design, Architektur und Freiraumgestaltung waren zudem verwässert. Hannover geriet ins Hintertreffen: zu Münster mit seinem Freiluftzyklus der „Skulptur Projekte“ in der Innenstadt, zu Hamburg und Bremen mit konstanten Förderprogrammen und erst recht München. Die bayerische Landeshauptstadt pflegt seit Jahren verschiedene sommerliche Reihen und Einzelprojekte, investiert zudem, ähnlich Bremen, jährlich 1,5 Prozent ihres kommunalen Bauvolumens in Kunst am Bau oder im öffentlichen Raum.

Entspannt neue Akzente setzen

Hannovers Kulturdezernat erkannte die sich auftuende Lücke zu zeitgenössischen Entwicklungen, Diskursen und künstlerischen Positionen, beauftragte ein 2008 veröffentlichtes Gutachten zum Sachstand. Das nahm 74 Objekte und Standorte in Augenschein – und sparte nicht mit Kritik. Sie reichte bis zur Aberkennung der künstlerischen Qualität einzelner Positionen mit der Empfehlung ihrer Beseitigung oder der konzeptionellen Infragestellung der Skulpturenmeile.

Aber vielleicht sollte Hannover nicht so hart mit sich ins Gericht gehen? Es gibt diesen im städtischen Bewusstsein verankerten bedeutenden Bestand, der zuvorderst anständig gepflegt und, zeitlich kontextualisiert, erklärt gehörte. Hinzukommendes könnte dann ganz entspannt aktuelle Akzente setzen. So wie es im Bereich heroischer Sockelkunst zweifelsohne der Metall-Plastik „Another Twister (João)“ der US-amerikanischen Künstlerin Alice Aycock gelang, seit 2015 am Haupteingang des Sprengel-Museums.

Windsäcke in Camouflage

Geglückt ist auch der überdimensionale Kristalllüster von Stephan Huber im Straßenraum der Sophienstraße vor dem Künstlerhaus: Er präsentiert in feiner Ironie ein antiquiert luxuriöses Innenraumrequisit im Außenraum, lässt es zudem noch Teil technischer Infrastruktur, der Straßenbeleuchtung, werden. Und selbst eine Mittelstreifenkunst kann mit situativer Frische überraschen: Zwei junge Land­schafts­ar­chi­tek­t:in­nen pflanzten 2006 auf die Verkehrsinsel am Ägidientorplatz ihre Installation „o.T. (Birkenwald)“ aus 28 sich drehenden Windsäcken in Camouflagemuster auf dünnen, bemalten Rundhölzern, die an spontan aufgeschossene Birkenstämme einer Brache erinnern, hohe Gräser zu ihren Füßen.

Eine Kulturstrategie 2030 nimmt nun auch wieder die Kunst im öffentlichen Raum unter ihre Fittiche, das Vermittlungsprogramm der Stadt „Kunst umgehen“ widmet sich seit Langem mit verschiedenen (digitalen) Formaten und Re­fe­ren­t:in­nen dem lokalen Bestand. Und vielleicht kommt es dem Erfolgsrezept, nicht nur in Hannover, auf die Spur. Das wären klug gewählte Orte im Gefüge der Stadt und Künstler:innen, die nicht nur ihr Ego verwirklichen wollen, sondern sich fähig zeigen, diese Orte zu empfinden, zu kommentieren sowie ästhetisch relevant zu bereichern.

https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Museen-Ausstellungen/Bildende-Kunst/Kunst-umgehen

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