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Archiv-Artikel

DIE BÜNDNISGRÜNEN BLINKEN LINKS, BLEIBEN ABER HÜBSCH REALISTISCH Kopf siegt über Bauch

Die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag, wieder einmal, rechtzeitig zusammengerissen. Die in sieben Jahren eingeübte Regierungsdisziplin funktioniert selbst jetzt noch fast perfekt, da der Gang in die Opposition fast unausweichlich scheint. Wir rücken wieder mehr nach links, hieß die allgemein akzeptierte Botschaft des Parteitags, aber nur ein Stückchen. Und alle wollen deutlich machen: Bloß weil wir bald die Macht verlieren, spielen wir nicht gleich verrückt und ergehen uns nicht in Hirngespinsten. Im Zweifel folgen die meisten Grünen längst ihrem Kopf, nicht ihrem Bauch. Das mindert ihren Unterhaltungswert, aber es steigert ihre Chancen, ein ernst zu nehmender Faktor der deutschen Politik zu bleiben. Mitten im Wahlkampf Grundsatzkonflikte auszutragen wäre selbstmörderisch gewesen. Also wurden sie vertagt.

Joschka Fischer bleibt, wie er es wollte, alleiniger Spitzenkandidat, unangefochtener Primus inter Pares. Mit dem Verzicht auf eine gemischte Doppelspitze verstießen die Grünen zwar erneut gegen ihr ureigenes Prinzip, alle Ämter männlich-weiblich zu quotieren. Das mag viele ärgern. Doch die Alternative, ein Aufstand gegen Fischer, war den grünen Frauen und der Basis viel zu riskant. Hätte dies doch bedeutet, das wichtigste grüne Zugpferd ausgerechnet jetzt zu demontieren, da es wieder fit ist. Die Unterwerfung unter Fischer erhöht freilich auch den Druck auf ihn. Als Nummer eins ist er zum Erfolg verdammt. Geht die Wahl für die Grünen schlecht aus, ist Fischers Zeit vorbei.

Genauso vernunftgesteuert wie bei der Personalentscheidung verhielt sich die Partei auch bei den Programmbeschlüssen. Obwohl niemand damit rechnet, dass die Grünen ihre Ankündigungen noch in die Tat umsetzen müssen, widerstanden sie der verlockenden Versuchung, den Wählern das Blaue vom Himmel zu versprechen. Ob Elterngeld für Mittelschichtler oder Kultur- und Sportgutscheine für Kinder – einige gut klingende, aber teure Vorschläge verschiedener Parteipromis wurden aus dem Programm gestrichen. Angesichts der Konkurrenz von links schien es den Grünen klüger, selbst links zu blinken. Aber realistisch. Ein milliardenschweres Investitionsprogramm wurde verworfen. Gutverdienende sollen etwas höhere Steuern zahlen, um einige soziale Nachbesserungen von Hartz IV zu finanzieren. Damit korrigieren die Grünen ihren Kurs – aber nicht so drastisch, dass er nicht erneut zu ändern wäre, falls man irgendwann wieder einmal irgendwo regieren sollte. Spannend wird der Richtungskampf erst, wenn die rot-grüne Symbolfigur Fischer weg ist und die ersten schwarz-grünen Koalitionen locken. Spätestens dann kommt auch die Mehrwertsteuer wieder auf die grüne Tagesordnung. LUKAS WALLRAFF