: Beschnittene Meinung
SCHLAGLOCH VON HILAL SEZGIN Polemik über das Abendmahl? Verboten. Meine erste Zensurerfahrung
■ ist Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr: „Landleben. Von einer, die raus zog“ (DuMont Verlag). 2010 erhielt sie den European Muslim Women of Influence Award.
Vor zwei Wochen, als die Beschneidungsdebatte entbrannte, passierte mir etwas, das mir im Laufe meiner gesamten journalistischen Karriere noch nie geschehen ist: Ich wurde zensiert. Ich glaube jedenfalls, so nennt man das, wenn man eine Meinung äußern will und deren Veröffentlichung nach Maßgabe eines Gesetzes von einer öffentlichen Einrichtung unterdrückt wird.
„Barbarisch?“ – Na, und?
Für den WDR hatte ich einen Kommentar zur Beschneidungsfrage geschrieben. Ich begann damit, dass seit einigen Jahren alles, was muslimischer Brauch sei, mit Verdacht überschüttet und sorgfältigst auf seine Verbietbarkeit geprüft wird. Dann fuhr ich im zweiten Absatz fort: „… die Sitte der Beschneidung empfinden viele christlich oder atheistisch sozialisierte Menschen als ‚barbarisch‘. Dieser Vorwurf des Barbarismus wird immer gern da erhoben, wo man den Balken im Auge des anderen sieht und im eigenen nicht. Es soll Leute geben, Christen!, die sich regelmäßig treffen, um vom Leichnam ihres Heilands zu essen. Es soll Leute geben – normale Bürger! – die tote Kuh- und Schweinebabys auf den Grill werfen! Es soll Leute geben, die zu sehr jungen Frauen in einen Wohnwagen gehen und denen für wenig Geld ihren (unbeschnittenen oder beschnittenen) Penis reinrammen. Meine Güte, was finde ich nicht alles barbarisch! Ich fürchte nur, in einer pluralistischen Gesellschaft kann das allein kein Argument sein. Kommen wir also zu den Argumenten?“
Der Redakteur rief an und teilte mir etwas verlegen mit, dass es da ein Problem gebe. Ich hatte es schon fast befürchtet: Sicher mochte man den Satz mit dem Rammen nicht. Auch ich selbst hatte gezögert: War diese Sprache nicht etwas obszön? Andererseits: Obszön war doch eigentlich nicht das von mir verwendete Wort, sondern die Praxis, um die es geht. Aber das war gar nicht die problematische Stelle.
Der Satz, der gestrichen werden musste, war der mit dem Abendmahl. Es gibt nämlich in NRW ein Gesetz über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ von 1985, wo es heißt: „Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten.“ Diese hängen mit der „besonderen Bedeutung des Rundfunks, speziell des öffentlich-rechtlichen, für die Gesellschaft“ zusammen. Und leider könnte ein Hörer aus meinen Sätzen schließen, dass ich das Abendmahl barbarisch fände. Nun, eigentlich ist unschwer zu erkennen, dass es sich um eine Polemik handelt, eine Kaskade zugespitzter Behauptungen.
All diese plumpen Ethnologen
Tatsächlich finde ich das Abendmahl nicht barbarisch, ja, nicht einmal unappetitlich. Erstens habe ich in katholischer Religion Abitur gemacht, und zweitens ist mir ganz grundsätzlich klar, dass zu einer Religion Geschichten und Riten gehören und dass nicht jeder Ritus einen allgemein erklärlichen „Sinn“ ergeben muss. Riten sind Riten. Man verleiht ihnen Sinn, indem man sie wiederholt ausführt; nur ganz schlechte Ethnologen stehen vor einem ihnen unbekannten Volksstamm und sagen: Mein Gott, können sich diese Wilden denn nicht etwas Ordentliches anziehen?!
Und genau um diese plumpe Ethnologie ging es mir. Ich wollte das Fernrohr, mit dem die Mehrheitsgesellschaft auf ihre Minderheiten guckt, für einen ganz kurzen Moment herumdrehen. Seit Jahren wird in ganz Deutschland und auch in den öffentlichen Radios in NRW freizügig darüber diskutiert, ob der Islam überhaupt zu Deutschland gehöre, wenn ja, wie viel Islam Deutschland „vertrage“, ob er in seiner jetzigen Form nahezu zwangsläufig sexualfeindliche oder gewalttätige Menschen hervorbringe (u. a. Seyran Ates und Necla Kelek auf Dradio und WDR), ob das Kopftuch „Vorspiel“ zum Ehrenmord sei (Ralph Giordano im WDR), ob Mohammed eventuell gar nicht gelebt habe oder sein Name „ein Hoheitstitel für Jesus“ gewesen sei (Sven Kalisch bzw. Karl-Heinz Ohlig auf WDR), ob der Koran überhaupt Gottes Wort sei oder nicht Fälschung (siehe westart vom 7. 2. 2010), ob die Dummheit der Muslime unser Land ruinieren könnte (Thilo Sarrazin bei „Hart aber fair“) und ob vielleicht die Politik unterschätze, „wie viel Angst die Bürger vor dem Islam haben“ (Frank Plasberg). „Die Bürger“? Die religiösen Überzeugungen „der Bevölkerung“? Von welchem Teil der Bevölkerung redet ihr da? Schließlich dreht sich die gesamte Debatte über Vorhautbeschneidung darum, ob ein bei Juden und Muslimen gängiges religiöses Ritual in der Nähe der Kindesmisshandlung anzusiedeln ist.
Und ewig lockt das Verbot
Darf ich jetzt mal zusammenfassen: Vor diesem Hintergrund und in einem Land, in dem man Muslime ständig als überempfindlich schimpft und in dem die Kanzlerin jemanden für seine Mohammed-Karikatur mit einem Medienpreis als couragiert ehrt, da darf man nicht wagen anzusprechen, dass die christliche Sitte des Abendmahls für Außenstehende eventuell einen befremdlichen Zug hat?
Zurück zur Beschneidung: Es gibt natürlich (in jedem kulturellen Kontext) Traditionen, die grausam sind und sich überlebt haben. Nach Gesprächen mit Ärzten und Spezialisten habe ich den Eindruck gewonnen, dass die medizinisch korrekt ausgeführte Vorhautbeschneidung keine besonderen Beeinträchtigungen nach sich zieht. Sie ist demnach einfach nur eine Kulturpraxis unter anderen. Nicht alle deutschen Bürger müssen sie toll finden oder nachahmen, aber so, wie alle Eltern ihre Kinder bestimmten Praktiken und Vorstellungen unterwerfen, haben auch muslimische Eltern das Recht dazu. Im Übrigen ist es falsch, jeden multikulturellen Dissens sofort mit gesetzlichen Verboten ersticken zu wollen.
Man muss sich mit den jeweils anderen auch auseinandersetzen, herausfinden, was eine bestimmte Praxis für sie bedeutet, sie eventuell zu überzeugen versuchen. Falls es das wert ist. Aber genau diese Auseinandersetzung will man vermutlich lieber vermeiden, denn sonst würde man Gefahr laufen festzustellen: So sonderlich die Einheimischen manches finden, was die „Neuen“ tun, so sonderlich fanden diese zunächst manches, was hierzulande üblich ist.