Kunst und Schaumwein

Die Kieler Galerie Cube+ stellt aus Prinzip immer zwei Künst­le­r:in­nen zusammen aus – dass die voneinander etwas wissen, ist nicht notwendig. Wie gut das klappt, zeigen derzeit Thomas Judisch und Kyoko Takemura

Trügerisch viele Dimensionen: Thomas Judisch, „Grace“ (2021) Foto: Gallery Cube+

Von Frank Keil

Die Ausstellung ist eröffnet. Einige Worte sind gesprochen worden, man hat sich die Kunst angeschaut, die an den Wänden hängt. Nicht sofort, natürlich, sondern nach einer Anstandspause ist man von Objekt zu Objekt getippelt; den Zettel in der Hand, auf dem die Titel stehen. Aber schon, ob der von links nach rechts zu lesen ist –und nicht vielmehr von rechts nach links: Das hat man nicht so recht verstanden. Nun sind die meisten Gäste da gewesen, einige hatten Hunger und um die Ecke soll es seit neuestem eine ganz okaye Pizzeria geben. Da sitzen sie vermutlich nun und überlegen: Pizza Funghi oder lieber Frutti di Mare oder doch einfach: Nudeln?

Aber wer räumt jetzt die viertel- und halbleeren, die achtlos stehen gelassenen Sektgläser weg? Während man selbst noch darüber nachsinnt: War es ein Erfolg? Hat diese Eröffnung die Erwartungen erfüllt – und welche waren das noch mal? Wird sie die beiden Künst­ler:­in­nen weiterbringen – und woran ließe sich das messen? Und ist so eine Kunstausstellungseröffnung nicht, wenn man es ein wenig streng nimmt, eine ziemlich ritualisierte Angelegenheit? Ein Kommen und kurz Schauen und Ein-paar-Worte-Verlieren, Jemanden-wieder-Treffen vielleicht, bei der die Kunst selten genug für sich genommen zu ihrem Recht kommt? Doch, ja. Aber wie ließe sich das alles anders machen? Hat jemand eine Idee?

Thomas Judisch hat selbst ein Dutzend schlichter Sektgläser auf einem Bistrotisch abgestellt. Ein wenig Flüssigkeit steht noch in dem einen und anderen, Lippenstift verziert hier und da den Rand. Gibt es noch irgendwo Nachschlag – oder ist das Kunst? „Meine hundert besten Freunde“ heißt Judischs Arbeit, die man „augenzwinkernd“ nennen könnte (wäre das Wort nicht verboten, geradezu). Judisch ist damit zu Gast in der Gallery Cube+: einem recht neuen, eher kleinen, kompakten Ausstellungsraum in der Kieler Innenstadt. Früher nutzte die Adresse ein Schuster- und Schlüsseldienst, die Muthesius-Kunsthochschule liegt nicht weit weg, das ist kein Zufall. So wie Judisch auch nicht allein ist, mit ihm stellt die Künstlerin Kyoko Takemura aus, eine Japanerin, die seit Längerem in Berlin lebt und arbeitet.

Stets im Doppelpack

Denn das ist das Prinzip der Galerie und dafür steht das +: Es gibt die Kunst dort nur im Doppelpack, stets werden zwei Künst­le­r:in­nen eingeladen. Die wissen vorher nicht unbedingt voneinander und bespielen die Galerie dann trotzdem gemeinsam, einen Monat lang in der Regel. Und wenn sie nun so gar nichts miteinander anfangen können? „Bisher ist das nicht vorgekommen“, sagt Shi Shi und wirkt dabei ganz entspannt. Und wenn doch? „Werden wir sehen, was passiert.“ Shi Shi betreibt zusammen mit Ying-Chih Chen die Gallery – auch ein Doppelpack. Beide sind Muthesius-Absolventinnen, man merkt schon: Das ist hier sozusagen die Kieler Kunstfamilie, die unterwegs ist – und die zusammenhält. (Apropos Familie: „Fast & Furious “ läuft nun auch in Kiel, im Cinemaxx.)

So wie auch alles begann: Die ersten drei Jahre lang, 2018 bis 2020 unterstützte die Muthesius die Galerie als Projekt; nun müssen die beiden auf eigenen Beinen stehen. Wollen sie auch, und das neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit: Shi Shi, ursprünglich aus China, ist Illustratorin; Ying-Chih Chen stammt aus Taiwan und hat 2018 in Kiel das Studium der Freien Kunst abgeschlossen. Gültig aber bleibt ihr Anspruch, sich für Kiel als Kunstorte zu engagieren: „Wir wollen ein Ort für diejenigen sein, die in Kiel Kunst studiert haben“, sagt Shi Shi, „die hier ihre ersten Ausstellungen und damit ihre ersten Erfahrungen gesammelt haben, die dann weggegangen sind – und die doch wiederkommen sollen.“ Ying-Chih Chen ist nicht beim Gespräch dabei, sie hat gerade Aufsichtsdienst, unten in der Stadtgalerie – wie gesagt: Kieler Kunstfamilie.

Einer, der immer wieder zurückkommt, ist Thomas Judisch, der von 2003 bis 2009 an der Muthesius studierte. Anschließend zog er weiter, verfertigte von Ausstellung zu Ausstellung seine Kunst. Er legte ein Meisterstudium an der Dresdner Hochschule für Künste nach, lebt dort mittlerweile auch, pendelt aber regelmäßig nach Schleswig-Holstein zurück. Und ist damit ei­ne:r der Künstler:innen, die ihre Homebase nicht hinter sich gelassen haben. Er war Residenzkünstler im Museum der Westküste auf Föhr, er hat im Ahrensburger Marstall und in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck ausgestellt; er war lange in einem der Ateliers der Wassermühle in Trittau anzutreffen,. Und er hat, eben, immer wieder in Kiel ausgestellt: in der Stadtgalerie; in der Kunsthalle, wo er die Antikensammlung aufmischte; im Kunstraum B., auch nicht weit weg vom Cube+.

Seit diesem Jahr nun ist Judisch Lehrbeauftragter an der Muthesius, Freie Kunst und Keramik. Seine einjährige Installation „Hot Content“ ist derzeit entlang der Kieler Förde aufgebaut: zwölf bronzene Kaffeebecher, eine Intervention gegen das allgemeine Einmal-Nutzen-und-Wegwerfen.

Inspiration Jugendbande

In die Gallery mitgebracht hat er ein Objekt aus vier ineinander gestaffelten Jeansjacken: vier Jacken, die so griffig an der Wand hängen, dass man hineinschlüpfen möchte – dabei sind sie Latexdruck auf PVC, eine fotografische Skulptur, könnte man sagen. „Mich hat zu der Arbeit ein Film über Kieler Jugendgangs inspiriert, den ich damals in meiner Kieler Studienzeit gesehen habe“, erzählt er: ein Dokumentarfilm, der für eine kurze Zeit die Fördestadt zur Gang-Metropole machte und der zeitweise als Lehrfilm für schleswig-holsteinische Po­li­zis­t:in­nen eingesetzt wurde. Besonders angetan hatte es ihm seinerzeit eine türkische Gang: „The Tigers“. Man sieht es am Emblem auf der Rückseite: Dieser Tiger setzt zum Sprung an.

Ist Kiel für Judisch ein Heimspiel, bedeutet es für Kyoko Takemura eine Art Begegnung der ersten Art. Die so viel weniger Ortskundige spielt nun ebenfalls mit dem Sujet des vordergründlich Wirklichen. Nehmen wir „Canned/Konserven“: eingedoste, mit Gelee zusammengehaltene Lebensmittel werden umgestülpt gezeigt; nicht als Objekte, sondern als deren fotografische Abbildungen.

Verbrannte Vermögen

Um das Thema Vergänglichkeit kreist ihre zweite Fotoarbeit „Luxury beyond Death“. Dafür hat sie sich mit der Tradition des sogenannten Höllen- oder Himmelsgeldes beschäftigt. Vornehmlich in Vietnam, aber auch in Teilen Chinas und Malaysias werden bei Beerdigungen oder an den Jahrestagen von Verstorbenen papierene Objekte verbrannt. In der Regel kauft man die eigens dafür, es gibt einen florierenden Markt; seltener bastelt man sie selbst: Geldscheine, die hohe Summen darstellen; Rolex-Uhren, teure Schuhe oder Handys. Symbolische Luxusgüter, die in Rauch aufgehen sollen und gen Himmel schweben.

Wo immer sie auch sind, sollen die Verstorbenen nicht auf Luxus verzichten müssen; zuweilen geht es auch profaner darum, dass sie an jenem anderen Ort ihre irdischen Schulden begleichen können, um danach ein sorgenfreies jenseitiges Leben zu führen. „Für uns Lebende sind diese Gegenstände wertlos, sie sind ja nicht echt“, sagt Kyoko Takemura, „aber für die Verstorbenen bedeuten sie sehr viel. So wie umgekehrt das echte Geld, dass uns im Leben hilft, nichts mehr wert ist, wenn wir tot sind.“

Thomas Judisch/Kyoko Takemura – „Honey Rules The World“: bis 14. 8., Gallery Cube+, Knooper Weg 104, Kiel. www.gallery-cubeplus.com