: Das Grinsen im Gesicht des kleinen Mannes
Mit präzisem Blick legte die afroamerikanische Autorin Ann Petry 1947 in „Country Place“ die Verlogenheit der provinziellen Nachkriegsgesellschaft offen. Nun wurde der Roman erstmals ins Deutsche übersetzt
Von Carola Ebeling
Es ist ein ernüchterter Blick, den der zurückkehrende Soldat Johnnie nach dem Zweiten Weltkrieg auf seine Heimatstadt Lennox in Connecticut wirft: „Jetzt fiel ihm wieder ein, dass überall geklatscht und getratscht wurde – im Postamt, im Gemischtwarenladen, im Drugstore […]. Diese Sorte Grinsen im Gesicht des kleinen Mannes hinterm Lenkrad stand für die ganze Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit der Stadt […].“ Eigentlich hatte er sich hierher zurückgesehnt – die Sehnsucht zerschellt an der Realität.
Eine Realität, die Ann Petry, Autorin des 1947 in den USA erschienenen und jetzt erstmals ins Deutsche übersetzen Romans „Country Place“, gut kannte und die sie mit dem ihr eigenen präzisen Blick literarisch zu sezieren wusste.
Ein Jahr zuvor hatte die Afroamerikanerin mit ihrem Debüt „The Street“ einen großen Erfolg gefeiert. Während darin das Leben einer Schwarzen Frau und Mutter, ihr Aufbegehren gegen Rassismus und Sexismus im New York der 1940er Jahre im Zentrum standen, siedelte sie ihren Folgeroman in einer vornehmlich von Weißen bewohnten Kleinstadt an.
Genau an einem solchen Ort wurde Petry 1908 geboren. Neben ihrer Familie, die seit Generationen eine Apotheke führte, lebten dort kaum Afroamerikaner*innen. Auch sie selbst erlernte den Beruf und arbeitete zunächst im Familienbetrieb, bis sie für mehrere Jahre nach New York ging und später wieder zurückzog.
In „Country Place“ macht sie sich daran, die Verlogenheit und Hinfälligkeit einer provinziellen Nachkriegsgesellschaft bloßzulegen, die in ihrer Sehnsucht nach „der guten alten Zeit“ nicht bemerkt, dass sie sich selbst zersetzt.
Petry spannt ein eng gewobenes Netz von Figuren auf. Neben Johnnie sind das seine Frau Glory, die ihn mit dem Stadt-Casanova Ed hintergeht; deren Mutter Lil, die sich als Schwiegertochter der reichen Matriarchin Mrs. Gramby ein endlich besseres Leben erhofft; der hinterhältige Taxifahrer, „das Wiesel“ genannt, und der leidlich rechtschaffene Apotheker Doc Fraser.
Die Handlung trägt teils kolportagehafte Züge: Es wird betrogen und gelogen, heftig intrigiert und sogar einen vereitelten Mordanschlag gibt es. Petry erzählt das dialogstark und lässt die Spannung gekonnt immer weiter anschwellen.
Sind aber die Figuren in „The Street“ psychologisch fein gezeichnet, geraten sie hier schematischer. Auch wenn Petry auf Ambivalenzen nicht verzichtet und es erneut ihr Anliegen ist, auch die Motivation der unsympathischen Figuren darzulegen. Mithilfe einer allwissenden Erzählstimme vermag sie es, abwechselnd ins Innerste aller zu schlüpfen.
Das etwas Holzschnittartige der Figuren ist ihrer Funktion im genau gebauten erzählerischen Gerüst geschuldet, bei dem es Petry darum geht, die Wirkung verschiedener sozialer Kategorien wie Klasse und Geschlecht (Gender) aufzuzeigen. Sie sind es, die die weiße Stadtgesellschaft spalten. Das zeigt die Autorin eindrücklich, etwa anhand Johnnies, der sich von maskulinen Stereotypen lossagt und nach New York aufbrechen wird. Darin ist ihr Blick sehr modern, während die aufscheinende Sexualmoral teils altbacken wirkt.
Da Schwarze Menschen und People of Color in nur wenigen Nebenrollen auftreten, bezeichnete die zeitgenössische Kritik das Buch als „raceless novel“, was aber nicht zutrifft, denn an diesen Figuren brechen sich die rassistischen Vorurteile ebenso wie der Antisemitismus an jener des jüdischen Anwalts.
Sie stehen zudem für eine mögliche Zukunft, die in einem fast utopischen Moment am Ende aufblitzt. Denn nach dem Sturm, der die Stadt heimsucht und der ein weiterer Protagonist des Romans ist, ist nichts mehr, wie es war.
Ann Petry: „Country Place“. Aus dem Englischen von Pieke Biermann. Nagel & Kimche, München 2021, 296 Seiten, 24 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen