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Von Rip van Winkle zur Westside Story

Ab dem 8. August bekommt Hamburg erstmals Jüdische Filmtage. Die erste Ausgabe fällt übersichtlich aus, aber die Macher*innen sehen darin auch Vorteile

Von Wilfried Hippen

Warum erst jetzt? Die Frage drängt sich auf, wenn in diesen Tagen erstmals überhaupt die „Jüdischen Filmtage Hamburg“ stattfinden. In Frankfurt und München etwa gibt es so etwas schon seit vielen Jahren, Berlin und Brandenburg haben gar das Jüdische Filmfestival JFBB, das später im August stattfinden wird. Und Hamburg? Hatte bisher gerade mal einen „Jüdischen Filmclub“, der vier Mal im Jahr mit je einem Film im Kommunalkino Metropolis in Erscheinung trat.

Elisabeth Friedler, bei der Jüdischen Gemeinde Projektkoordinatorin für das derzeitige Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, kann sich diese Leerstelle auch nicht recht erklären. Fehlte es einfach an einer engagierten Persönlichkeit, um solch ein Projekt zu stemmen? Für Friedler war im Rahmen der Feierlichkeiten nun die Zeit reif: Sie traf sich mit Felix Grassmann, Leiter des örtlichen Programmkinos Abaton, und dazu kam noch Andreas Brämer vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden, bisher schon der Organisator des erwähnten Jüdischen Filmclubs. Diese drei suchten dann gemeinsam die Beiträge für die Filmtage aus. Diese sollten eigentlich schon im Mai 2021 stattfinden. Weil da aber die Hamburger Kinos noch geschlossen waren, verschob sich die Sache in den August – eigentlich keine gute Jahreszeit für derlei. Länger warten ging aber auch nicht: In einigen Wochen beginnen die großen jüdischen Feiertage, auch sollten die Jüdischen Filmtage vor dem jährlichen Hamburger Filmfest über die Bühne gehen. In Zukunft will man das Festival dann im Januar durchführen.

Die Premiere nun fällt recht bescheiden aus: An fünf Tagen wird jeweils um 20 Uhr ein Film gezeigt. Bei zwei deutschen Produktionen werden Gäste aus den Teams zu den Vorstellungen erwartet, in die anderen Vorführungen führen Filmspezialist*innen ein. Geplant ist, für kommende Filmtage mehr Kinos und mehr Filme ins Boot zu holen. Für Andreas Brämer hat das überschaubare erste Programm aber auch einen Vorteil: Die Auswahl sei „strenger“, sagt er. In ein umfangreicheres Festivalprogramm fänden auch Filme Eingang, von denen die Kurator*innen nicht gänzlich überzeugt seien.

Ihrem Anspruch nach wollen die neuen Hamburger Jüdischen Filmtage gleichwohl einen möglichst umfassenden Überblick über neue jüdische Filmproduktionen bieten, und so bündelt das Programm etliche Genres aus mehreren Produktionsländern, von Komödien über Dramen und einem historischen Film bis hin zu einer Dokumentation darüber, wie junge Jüd*innen in Deutschland sich mit dem Holocaust auseinandersetzen.

Entstanden sind alle Filme im Programm in den Jahren 2019 und 2020, in deutschen Kinos ist noch keiner von ihnen gezeigt worden. Die Rechte am Quasi-Eröffnungsfilm „An American Pickle“ (8. 8.) etwa hat der US-amerikanische Streamingdienst HBO Max, Brandon Trosts Komödie dürfte also kaum in die deutschen Kinos kommen. Bei den Jüdischen Filmtagen läuft er nun als einziger ohne Untertitel in der amerikanischen Originalfassung. Der populäre kanadische Komiker Seth Rogen spielt darin eine Doppelrolle: Als jüdischer Emigrant Herschel Greenbaum kommt er Anfang des 20. Jahrhunderts nach New York, fällt aber in einen großen Bottich voller Salzlake – und wacht erst 100 Jahre später wieder auf. Im 21.Jahrhundert trifft er dann auf seinen Urenkel Ben Greenbaum. Eine Variation der in den USA sehr bekannte Erzählung „Rip Van Winkle“ von Washington Irving: Deren Titelheld, ein niederländischer Siedler, schläft ein und wacht erst viele Jahrzehnte später wieder auf.

Bei der tschechisch-russischen Koproduktion „The Humorist“ (9. 8.) erinnert nicht nur der Titel an die Erzählungen von Milan Kundera („Der Scherz“). Auch Michael Idovs Film erzählt im Stil des absurden Theaters von den Zuständen im sowjetisch beeinflussten Ostblock. Held der Geschichte, Boris Arkadiev (Aleksey Agranovich), ist ein gescheiterter Schriftsteller, der im Russland der 1980er-Jahre als Komiker mit seinem dressierten Affen so erfolgreich ist, dass der KGB auf ihn aufmerksam wird. Und so bekommt er den Auftrag, einen depressiven Kosmonauten im Weltall zum Lachen zu bringen. „Yumorist“ (so der Originaltitel) läuft in der russischen Originalfassung mit englischen Untertiteln.

„Endlich Tacheles“ (10. 8.) von Jana Matthes und Andrea Schramm ist ein deutscher Dokumentarfilm, dessen Protagonist Yaar als junger Jude in Berlin lebt und ein Computerspiel mit dem Titel „Shoah. Als Gott schlief“ entwickeln will. Seinen Vater und andere ältere Juden schockiert er dadurch, dass er sein Spiel in einem alternativen Deutschland des Jahres 1940 spielen lässt, in dem die Juden sich gegen die Verfolgung wehren – und Nazis menschlich handeln. Bei den Recherchen fährt Yaar nach Krakau, den Geburtsort seiner Großmutter, die das Vorbild für einer seiner streitbaren Held*innen ist. Dort deckt er Familiengeheimnisse auf, die sein Weltbild grundlegend verändern.

Herschel Greenbaum kommt Anfang des 20. Jahrhunderts nach New York, fällt in einen großen Bottich voller Salzlake – und wacht erst 100 Jahre später wieder auf

Auch der deutsche Spielfilm „Ein nasser Hund“ (11. 8.) von Damir Lukacevic zeigt, wie schwierig und widersprüchlich das Leben junger jüdischer Menschen in Deutschland sein kann: Die Verfilmung des autobiografischen Romans von Arye Sharuz Shalicar erzählt die Geschichte des 16-jährigen Soheil, der mit seinen Eltern aus dem Iran kommend in den Berliner Wedding zieht. Als er sich einer arabischen Jugendgang anschließt und sich in ein türkischstämmiges Mädchen verliebt, wird ihm klar, wie gefährlich seine Position als Jude dadurch wird.

Der Plot erinnert an das Musical „West Side Story“ – und ist deshalb leider durchaus vorhersehbar. Interessanter ist „Ein nasser Hund“, liest man ihn als Milieustudie mit vielen kleinen Episoden, in denen der Protagonist immer wieder auf mal offenen, mal eher latenten Rassismus stößt. Lukacevic erzählt differenziert und verweigert allzu einfache Antworten. So irritiert sein Film etwa mit der Frage, ob es antisemitisch ist, wenn ein Jude das Wort „Jude“ an eine Schulmauer sprayt.

Den Abschluss bildet ein Film aus Israel, gezeigt in hebräischer Originalfassung mit englischen Untertiteln: Mit „Honeymood“ von Talya Lavie haben die Programmmacher*innen einen gänzlich unpolitischen Film ausgewählt. Die romantische Komödie um ein Brautpaar, das sich in der Hochzeitsnacht fürchterlich zu streiten beginnt, erzählt keine typisch jüdische, aber vielleicht eine ein wenig banale Geschichte. In Israel werden also auch nette Unterhaltungsfilme gedreht.

Jüdische Filmtage Hamburg: 8.–12. 8., Abaton-Kino

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