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Spinnen wie die Spinnen

Bären wohnen schon lange nicht mehr im Bärenzwinger, dafür jede Menge kleines Getier. In der Ausstellung „Cat's Cradle“ nehmen Nandór Angstenberger und Salon Oblique mit ihnen Kontakt auf

Von Beate Scheder

Spinne müsste man sein, dann würde man sich in dem kleinen halb offenen Backsteingebäude im Köllnischen Park, in dem bis 2015 noch die Bärin Schnute zu Hause war, ganz bestimmt wohlfühlen. Zumindest gibt es im Berliner Bärenzwinger einige recht beachtliche Spinnennetze in den Winkeln und Mauerecken. Vorbild waren diese auch für das kokonartige Netz, das dort gerade das ehemalige Außengelände umhüllt. Es spannt sich vom Holzzaun zu den Bäumen über einen ganzen Schreibtisch samt Stuhl hinweg, um Holzpaletten und das Gatter, bildet eine organische Skulptur, die sich in den Raum schiebt, Außengehege, Natur und Architektur miteinander verwebt, Flora und auch die vorhandene Fauna – und es ist aber natürlich nicht das Werk eines Tiers, sondern das des Künstlers Nandór Angstenberger. Das Gespinst aus Unmengen von Wollgarn ist sein Beitrag zur Ausstellung „Cat's Cradle“ – benannt nach dem englischen Begriff für das Fadenspiel, bei dem mit gezielten Fingerbewegungen Figuren von Händepaaren zu anderen Händepaaren abgenommen werden.

Um die anderen Arbeiten der Ausstellung zu sehen, reichen die bloßen Augen nicht. Es handelt sich um digitale Skulpturen, kreiert vom Kollektiv Salon Oblique, die nur per Tablet sichtbar sind. Sobald man sie aktiviert – dafür muss man goldene Würfel virtuell anditschen –, poppen sie auf und fügen sich dann ähnlich organisch wie Angstenbergers Garn in das Zusammenspiel von tümpeligem Wasser, Pflanzen und Gebäudeteilen.

Immer noch soll es Menschen geben, die erwarten, im Bärenzwinger auf Bären zu treffen, dabei stand dieser schon ganze zwei Jahre leer, bevor das Gebäude 2017 zum Kulturort umgenutzt wurde, zu einem Raum für Kunst, dessen Programm von jungen Kuratorinnen und Kuratoren des Bezirksamts Mitte gestaltet wird, mit Mut zum Experiment und mit Ausstellungen oder auch Veranstaltungen. „Bricolage“ heißt das aktuelle Jahresprogramm, in dem „Cat's Cradle“ läuft.

Bricolage ist dabei im Sinne des Ethnologen Claude Lévi-Strauss zu verstehen, als Aufforderung zum wilden Denken, um Perspektivwechsel soll es jeweils gehen, darum, die Geschichten in und um den Bärenzwinger neu zu beleuchten. Und im Fall von „Cat's Cradle“ geht es eben um die, die sich quasi im Untergrund abspielen, zwischen den vielen oft übersehenen Lebewesen, die sich im Bärenzwinger seit dem Tod Schnutes erst recht breitgemacht haben.

Die Arbeiten von Angstenberger wie Salon Oblique wollen auf mögliche Symbiosen und Verbindungen zwischen den Arten hinweisen, neue Ideen von Verwandtschaften und Verantwortlichkeiten – der Pressetext zitiert entsprechend die Ökofeministin Donna Haraway. Spaß macht die Schau aber auch ohne diesen Überbau, weil sie den Bärenzwinger selbst als Ort und Lebensraum recht spielerisch in den Fokus stellt, ihn überwuchert, aber nicht überdeckt.

Der Ort verlange es, dass man sich mit ihm und mit seiner Geschichte auseinandersetze. So steht es in einer Broschüre, die 2019 zum 80. Jahrestag der Eröffnung des Bärenzwingers zusammengestellt wurde und die dort zum Mitnehmen ausliegt. Deren Lektüre ist auch im Zusammenhang mit der Ausstellung sehr empfohlen. „Cat's Cradle“ ist eine Art Fortsetzung, ein möglicher Ausblick in die Zukunft, ein Gedankenspiel, mit der Frage als Ausgangspunkt, was aus dem Bärenzwinger würde, wenn er in Dornröschenschlaf fiele und 100 Jahre still und leer stünde. Wobei die freilich sowieso komplett falsch gestellt ist.

Ganz einsam und verlassen ist der Bärenzwinger schließlich nie und wird es wohl nie sein. Die Käfer und die Spinnen und erst recht das noch kleinere Getier sind immer da. Und Vorsicht, eine kleine Warnung an alle zukünftigen Besucherinnen und Besucher: leider auch die Mücken.

Bis 29. August, „Cat's Cradle“, Bärenzwinger, Di. bis So. 11 bis 19 Uhr, am 30. Juli um 19 Uhr Performance mit Michelle Moura und Maikon K

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