die kinderfrage: Wann sind wir da?
Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Jede Woche beantworten wir eine davon. Diese Frage kommt von Jeanne und Mathias.
Eine der größten Fragen des Lebens lautet „Wann sind wir da?“ Gestellt haben sie Jeanne und Mathias, unzertrennliche Grundschulfreunde mit festen Heiratsabsichten, wenigstens als sie zwischen 7 und 8 Jahre alt waren.
Damals wollte Jeanne Lehrerin und Mathias Arzt werden und Oma und Opa sollten später auf die gemeinsamen Kinder aufpassen. So hat es uns der Vater Fred erzählt. Liebe Jeanne, lieber Mathias, wir haben auch gehört, dass aus diesem Plan nichts wurde. Schade!
Aber mir ging es genauso. Mein engster Kindergartenfreund und ich wollten damals auch heiraten, auf eine Insel ziehen und unsere Kinder von den Kokospalmen werfen. Wie wir auf letzteres kamen, weiß ich nicht mehr.
Aber ich weiß noch, dass auch ich und meine Schwester auf jeder Autofahrt unsere Eltern gefragt haben: „Wann sind wir da?“ So wie wahrscheinlich jedes Kind: Ob im Auto, im Zug oder im Flugzeug, es gibt keine Reise ohne diese Kinderfrage.
Die Frage, die garantiert nach 10 Minuten gestellt wird, kennt nur eine Antwort: „Bald!“
Die aber ist so unbefriedigend, dass man die Frage wieder und wieder stellt, obwohl es keine andere Antwort darauf gibt.
Das Schönste an dieser Frage ist, dass man sie nicht nur als Kind stellt, sondern auch, wenn man groß ist. Als Große weiß man, dass diese Frage unbeantwortbar ist. Die Dauer jeder Autofahrt hängt von Staus, Baustellen, Unfällen und anderen Dingen ab und lässt sich deswegen korrekterweise immer nur mit der ins Endlose ausdehnbaren Angabe „bald“ beantworten. Alles andere wäre eine Produktenttäuschung. Denn nach dem für das Kind „bald“ erreicht ist, stellt es ja auch gar keine Fragen mehr, sondern beschwert sich nur noch: „Du hast gesagt, wir sind bald da. Jetzt ist bald!“
Das Zweitschönste an der Frage „Wann sind wir da?“ ist, dass sie uns das ganze Leben begleitet. Denn man lernt als Große irgendwann, dass das Leben nie irgendwo ankommt. Das Leben macht Pausen, die man gar nicht machen will, es fährt in eine Richtung, die man nie gewählt hat, es macht sogar sehr oft nicht das, was man eigentlich will. Und wenn man die Frage stellt, „Wann sind wir da?“, antwortet es in der Regel nur: „Bald!“
Und noch etwas lernt man als Große: Die Reise ist ein Erlebnis. Die Reise ist in der Erinnerung meistens genauso schön, genauso abenteuerlich und in der Erinnerung fest verankert wie der Zielort, den man irgendwann ja dann doch meistens erreicht. Bis bald! Doris Akrap
Hast du auch eine Frage? Schreib an kinderfragen@taz.de
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