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berlin viralHinter der Bioschleuse

Ich hab ausnahmsweise mal Abendtermine. Ist ja ein bisschen in Vergessenheit geraten in den letzten 14 Monaten. Natürlich nicht so klassische Dinger wie „auf ein Bier“ oder „neuen Film sehen“ oder so Zeug. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das noch könnte, nach so langer Zeit der pandemiebedingten Freizeitaktivitätenabstinenz.

Nein, ich fahre einen Rasentrimmer abholen, den ich in den Kleinanzeigen gefunden habe. Wenn Sie nicht wissen, was ein Rasentrimmer ist – kein Problem. Es handelt sich um ein elektrisches Kleingerät zur Gartenpflege. Ich brauch das halt. Und jemand, der nicht so weit weg von mir wohnt, möchte es verkaufen. Er wohnt im Soldiner Kiez, das ist eins dieser „Problemviertel“ im Wedding, um das die Leute aus meiner Pankower Nachbarschaft gerne einen Bogen machen.

Vorher bringe ich über Food­sharing gerettete Lebensmittel zur Suppenküche im Franziskanerkloster in Pankow. Das liegt praktischer Weise auf dem Weg. Zwischen den beiden Orten befindet sich der S-Bahnhof Wollankstraße, der eine unsichtbare Grenze markiert – unter anderem zwischen arm und reich und West und Ost.

Auf dem Hof des Klosters treffe ich den älteren Mann, der häufig darauf wartet, dass jemand mit Lebensmittelspenden kommt, von denen er dann was abhaben will. Er redet immer sehr viel, hört aber grundsätzlich nicht zu. Das klingt dann so: „Hast du Kuchen dabei?“ „Nee, heute hab ich nur Gemüse und ein paar Brote.“ „Oder einen Apfel?“ „Gemüse, also Kartoffeln, Paprika …“ „Ach, da musst du jetzt keine Wissenschaft draus machen“, fällt er mir ins Wort. Und erzählt noch sehr viel mehr Dinge, die mich nicht wirklich interessieren. Er sei ja gar nicht bedürftig, aber dass die Kaufhallen so viel wegschmeißen, das sei ja schon schlimm. Und dass so viele Leute aus anderen Ländern kommen, läge ja auch dran, dass es uns hier viel zu gut ginge. Das wüssten die in Afrika und Rumänien. Aber die Leute hier, die hätten das wohl irgendwie vergessen.

Ich habe jetzt keine Lust auf solche Gespräche und ignoriere seine weiteren Ausführungen über all die Menschen, die seit Monaten am S-Bahnhof leben und sich unter der Brücke mittlerweile mit Betten und Sofas eingerichtet haben. Das Haus, wo der Rasentrimmer zum Verkauf steht, ist ein Neubau. „Wenn ich nicht aufmache, bin ich im Garten, kannst dann einfach durchkommen“, schrieb mir der Verkäufer. Das tue ich und stehe in einem Gartenparadies. Der Rasensprenger läuft. Auf einer Terrasse sitzen Menschen an einer Tafel, daneben steht ein Grill. Alles sehr hip und urban und traumhaft schön.

Wir plaudern ein bisschen und ich erzähle, dass ich ganz in der Nähe wohne, in Pankow. „Ach, hinter der Bioschleuse“, lacht der Mann. „Die Bioschleuse?“ „Na, der S-Bahnhof. Gleich dahinter ist doch schon der erste Biosupermarkt.“ Da, wo bis vor 15 Jahren im Wedding der Bioladen war, ist jetzt ein türkischer Backshop. Auf dem Weg zurück denke ich nach. Gleich neben dem ersten Bioladen auf Pankower Gebiet sitzen die obdachlosen Männer, die sich seit letzten Herbst dort 24/7 aufhalten. In der Bushaltestelle vorm Kloster stehen leere Schnapsflaschen. Ich denke an den schönen Garten und das schicke Haus und merke, wie sich Dinge ändern. Auch, wenn wir das nicht immer sofort bemerken.

Gabi Coldewey

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