Nur keine Wertung

MAUERFALL Was war die DDR? Unter dem Titel „Reconstructed Zone“ zeigt der Kunstverein Wolfsburg Werke von Künstlern, die sich aus der Binnen- und der Außensicht mit dem DDR-Alltag beschäftigt haben

„Nichts ist normal“, sagt der Stasibeamte zur Informantin in Garcias Video

Repressives Unrechtsregime oder kleinkarierter Kuschelstaat? Zum 20-jährigen Jahrestag des Mauerfalls häufen sich derzeit Kunstevents und Ausstellungen, die Facetten der Lebensrealität in der untergegangenen DDR thematisieren.

In der Ausstellung „Reconstructed Zone“ im Kunstverein Wolfsburg sind die Arbeiten von sieben jüngere KünstlerInnen und Teams zu sehen. Manche der Künstler wurden sozialisiert in der DDR, manche stammen aus dem europäischen Ausland. Die Idee ist, Binnen- und Außensichten alltagskultureller Phänomene des sozialistischen Realismus aufeinander treffen zu lassen.

Die Britin Lenka Clayton stellt Objekte und Dokumente zusammen, die doppelt vorhandene Realitäten im Ost- und Westteil Berlins repräsentieren: zwei Elefantenpaare aus den beiden Zoos zum Beispiel, zwei Funktürme oder zwei Brezeln, eine davon sichtlich mickeriger. Dazu zeigt sie ein Video von ihrem Besuch in einem privaten DDR-Museum in Brandenburg oder ihrer verwegenen Aktion, mit einem Honecker-Double durch die Straßen Berlins zu gehen.

Mit beklemmender Doppelsinnigkeit arbeitet die Spanierin Dora Garcia in ihrem Video ein Gespräch eines Stasibeamten mit einer Informantin ab. In einem unfraglich als DDR-Interieur erkennbaren Zimmer wird Überwachungsmaterial als Kurzfilmdrehbuch inszeniert.

Das Archivieren materieller Überreste ist Ausgangspunkt weiterer Exponate. Beispielsweise ist der sich drehende Tanzboden aus dem Jugendclub im Palast der Republik im Kunstverein auferstanden als psychedelisch-kinetisches Objekt der Berlinerinnen Fischer & el Sani, destilliert aus divergierenden Erinnerungen damaliger Gäste.

Einem innerdeutschen Kuriosum geht Andrea Pichl nach. Ein Kompensationsgeschäft zwischen VW und der DDR-Regierung bescherte Wolfsburg in den 1980er Jahren ein Planetarium mit Technik aus Jena und Bauplänen des DDR-Architekten Ulrich Müther, bekannt für seine ostmodernen Schalenbauten. Während die 1978 gen DDR gelieferten 10.000 Golfs mittlerweile den Weg alles Irdischen gegangen sind, ist das Planetarium nach wie vor präsent – die graue Maus unter all den Wolfsburger Star-Architekturen. Eine ‚Plaste‘-Leuchte des DDR-Produktgestalters Albrecht Enke hingegen schaffte nie den Sprung in die volkseigene Fabrikation, sie überlebte jedoch in italienisch-chinesischer Produktpiraterie. In einer Installation kombiniert Pichl beider Werke.

Was aber war nun die DDR? Was war das Systematische an diesem Gemeinwesen – jenseits skurriler Konsumprodukte, biederem Amüsement, staatstypischer Mundart? „Nichts ist normal“, sagt der Stasibeamte zur Informantin in Garcias Video, um vermeintlich Abweichlerisches aus ihr herauszupressen. Die Wolfsburger Ausstellung legt jedoch den Eindruck nahe, als herrsche 20 Jahre nach dem Mauerfall der kollektive Verweigerungsreflex, über wertneutrale Rekonstruktionen hinaus den befreienden und bewertenden Blick hinter das Normale der DDR zu wagen.

Bettina Maria Brosowsky

bis zum 8. November, Kunstverein Wolfsburg