: Ein Trainer zum Liebhaben
Dank dem italienischen Coach Marco Rossi ist die einst miese Stimmung im ungarischen Team längst vergessen. Er überzeugt mit seinen taktische Ideen und einem großen Herz
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Aus Budapest Frank Hellmann
Was sich im Örtchen Telki das Medienzentrum der ungarischen Nationalmannschaft nennt, ist im Grunde nur eine umgebaute Scheune mitsamt überdachtem Terrassenbereich. Gleich neben dem Eingang hängt eine Nationalflagge an der Wand – und davor steht ein Abbild von Marco Rossi. Der ungarische Nationaltrainer grüßt als grinsender Pappkamerad, hält einen Spieler im Arm, dem aber der Kopf fehlt. Klar, wozu das animieren soll: Besucher posieren für ein Erinnerungsfoto, auf dem einen der Nationalcoach umarmt. Es ist ein gutes Sinnbild für das, was mit der Amtsübernahme des Italieners bei den Magyaren passiert ist. Da hat einer erst wieder vieles zusammenführen müssen.
„Als ich im Juni 2018 nach Telki kam“, erinnert sich der 56-Jährige, „wurde ich von einer Atmosphäre wie bei einer Beerdigung begrüßt.“ Sein Vorgänger, der Belgier Georges Leekens, hatte die vom deutschen Trainergespann Bernd Storck und Andreas Möller durch die EM-Teilnahme 2016 ausgelöste Euphorie nicht nutzen können. Ungarn hatte zwar EM-Spiele 2020 in Budapest garantiert, drohte aber an der Qualifikation zu scheitern. Rossi ist bald in die Rolle des Erlösers geschlüpft. Oder war er mehr der Einpeitscher? Oder doch der Reformer? Vermutlich alles in einem. Seine Erfolgsquote mit 15 Siegen in 31 Länderspielen ist das eine, die überaus achtbaren Leistungen gegen Portugal und Frankreich das andere.
Da sorgte einer für Offenheit und Lockerheit, arbeitete mit Strenge und Fürsorge. Und brachte einen taktischen Plan mit, der für diese an den hohen Maßstäben des Weltfußballs gemessen eher limitierte Auswahl passen würde. Auch gegen Deutschland werden die Ungarn gewiss nicht die Flucht nach vorn antreten, sondern in ihrem 5-3-2-System erst mal sicher stehen. Ansonsten geht viel über die Motivation, wobei der Coach vor Anpfiff die feurigen Reden seinem Kapitän Ádám Szalai in der Landessprache überlässt – Rossi redet Englisch mit seinen Akteuren. Dass er jetzt dem Weltmeistertrainer Joachim Löw die Hand schütteln darf, empfindet er als ein Geschenk des Himmels. „Bisher habe ich eine EM immer nur am Fernseher gesehen.“
Als Spieler war er nicht mal gut genug für den damaligen Zweitligisten Eintracht Frankfurt, wo der Abwehrspieler in der Saison 1996/97 wahrlich keine tiefen Spuren hinterließ. Die Zeit unter einem „sehr sympathischen Trainer Dragoslav Stepanović“, wie Rossi einmal verriet, will er trotzdem nicht missen: „Ich hätte damals einen Dreijahresvertrag in Frankfurt unterschreiben können, obwohl ich schon 32 Jahre alt war, bin dann aber nach Italien zurückgekehrt.“
Peter Gulacsi,Torhüter
Dort trainierte er zunächst nur unterklassige Vereine, ehe 2012 George F. Hemingway, ein guter Bekannter und Besitzer von Honvéd Budapest, anrief. Rossi sagte auch wegen seiner Familiengeschichte zu, die mit der im WM-Finale 1954 gegen Deutschland gescheiterten Legende Ferenc Puskás verknüpft ist: „Mein Großvater Luigi war ein großer Fan der ‚Goldenen Elf‘ Ungarns, die nach dem Krieg den Weltfußball dominierte. Er hat mir jeden Tag, wenn er mich zum Training fuhr, von dieser Mannschaft erzählt.“ Und siehe da: Herr Rossi sollte sein Glück in Ungarn finden: Nachdem er Honvéd Budapest 2017 zur Meisterschaft führte, verpflichtete ihn der Verband ein Jahr später.
Seitdem coacht ein echter Gentleman die Puskás-Erben. Bestens gekleidet, höflich und auskunftsfreudig selbst in virtuellen Pressekonferenzen. In der Coaching Zone ist der Glatzkopf ständig in Aktion. Willi Orban, sein Abwehrchef von RB Leipzig, beschreibt seinen Trainer als „typisch italienisch: sehr emotional, er ist sehr laut und legt viel Wert auf Taktik; dass wir immer eine hohe Disziplin an den Tag legen.“ Gleichwohl habe der Fußballlehrer ein offenes Ohr für das, was seine Spieler über die Herangehensweise denken. Kurzum: „Einfach ein guter Typ und neben dem Platz ein guter Mensch.“
Péter Gulácsi, der Torwart von RB Leipzig, erkennt einen „Toptrainer mit großem Herz, menschlich absolut überragend. Er versteht uns Spieler sehr gut, kann sehr gut motivieren. Er setzt auf defensive Stabilität – die italienische Schule.“ Ob damit auch die Deutschen zu knacken sind, muss man abwarten, aber dass es überhaupt die Chance gibt, den dreifachen Europameister aus dem Turnier zu werfen, macht viele Fans in Budapest unglaublich stolz. Selbst die teuren Modegeschäfte im Herzen der Hauptstadt haben Schaufensterpuppen mit dem ungarischen Nationaltrikot auf die Straße gestellt. Man könnte ihnen einfach den Pappkamerad von Marco Rossi aus Telki rüberschaffen, dann würden sie sogar umarmt.
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