: So entzieht man Berlin Wohnraum
In der Weserhalle führt der Künstler Anton Steenbock das Konzept der „Art Flats“ vor
Von Tilman Baumgärtel
Und dann bin ich wirklich an der Weserhalle, einem der letzten verbliebenen unabhängigen Kunstorte in Nord-Neukölln, vorbeigefahren – so überzeugend ist die Umwandlung des kleinen Ladenlokals, das seit 2018 zeitgenössische Kunst zeigt, in ein Immobilienbüro.
Über dem Eingang hängt ein beleuchtetes Firmenschild des Unternehmens Da Silva Brokers, das hier angeblich ein neues Geschäftsmodell vorstellt. In den Fenstern werben vollkommen unkünstlerisch gestaltete Werbeplakate für den neuen Trick, mit dem Wohnungsbesitzer das meiste aus ihrem Besitz machen können: „Waren Sie vom Mietendeckel betroffen und wollen jetzt durchstarten? Machen Sie Ihre Wohnung zur Art Flat und streichen Sie bis zu 40 Prozent mehr Miete ein. Hip, legal und nur 7 % MwSt.“
Wer in den zum Showroom umgestalteten Ausstellungsraum eintritt, erfährt, wie das funktioniert: Da Silva Brokers lassen die Wohnungen, die sie vermieten sollen, zu „Art Flats“ umgestalten, einer Art Privatgalerie. Die Bewohner dieser Apartments sind daher nicht mehr Mieter, sondern Bewohner einer Kunstinstitution. So entfallen lästige Mietobergrenzen und Orientierung am Mietspiegel. Stattdessen entrichtet man eine „Service Fee“ und darf dafür bei seiner neuen Behausung unter verschiedenen Kunstrichtungen wählen, die die Wohnung zum Kulturerlebnis werden lassen: Beim Modell „Classic“ hängt einfach ein abstrakter Ölschinken an der Wand. Beim „Premium Plan“ wird das Kunstwerk jeden Monat ausgetauscht. Monatliche Rechnungsstellung und hohe Profite sind selbstverständlich im Preis inbegriffen. Alle Kunstwerke sind übrigens „NFT-ready“, können also auch als die „Non Fungible Token“ angeboten werden, die in der Kunstwelt gegenwärtig für so viel Aufregung und atemberaubende Profite sorgen.
Die „Urban“-Variante der Wohnräume wird von einem Graffiti-Künstler namens Vulkan mit wilden Farbwirbeln dekoriert. Und wer die „Performance“-Version bucht, bekommt Besuch von Künstlern, die „ortsspezifische Interventionen“ vornehmen. Bei einer Putzperformance wurde „der Staub weniger entfernt als vielmehr neu arrangiert“, wie es die Bewohnerin einer „Art Flat“ in einem Imagevideo beschreibt. Ein anderer Kunde lobt: „Eigentlich hat man gar nicht gemerkt, dass die Künstler da gewesen sind. Aber mir gefällt gerade diese Subtilität.“ Die absurden Werkzeuge, mit denen die Performance-Künstler die „Art Flats“ nicht sauber machen, sondern neu interpretieren, sind gegenwärtig in der Galerie zu besichtigen.
Das wäre alles einigermaßen ironisch und lustig, wenn es sich nicht nur in Nuancen vom Geschäftsmodell von Firmen wie „Wunderflat“ unterscheiden würde. Das Berliner Start-up-Unternehmen führt seit Jahren die Berliner Senatsverwaltung an der Nase herum, indem es rudimentär eingerichtete Wohnungen als „Serviced Apartments“ vermietet, für die der Mietspiegel nicht gilt, und dafür Mondpreise verlangt. So entzieht man dem Berliner Markt Wohnraum, erzielt astronomische Renditen und sammelt bei Risikokapitalisten Millioneninvestitionen ein. Dieses schäbige Geschäftsmodell mit dem Nimbus der Kunst zu schmücken, fehlt da im Grunde gerade noch.
Der deutsch-brasilianische Künstler Anton Steenbock, der hinter all dem steckt (was in der Ausstellung gut verborgen ist), hat schon in vergangenen Arbeiten die merkwürdige Kumpanei von Kunst, Kapital und Immobilienwirtschaft aufs Korn genommen, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Vor den Olympischen Spielen suchte er in Rio de Janeiro Investoren für ein Luxushotel in Form einer Banane in der Guanabara Bay, das nur per Hubschrauber zu erreichen gewesen wäre – angeblich soll sich gegen das fiktive Bauvorhaben sogar eine Bürgerinitiative gebildet haben. Als in Frankfurt die Kitschversion der kriegszerstörten Altstadt wieder aufgebaut wurde, bewarb der ehemalige Schüler von Lothar Baumgarten auf Bannern eine Siedlung mit Fachwerkhäusern, die à la Corbusier auf Betonpfeilern ruhen, um darunter Parkraum für die SUVs der Einwohner zu schaffen.
„Frankfurts Seele“ hieß die Aktion beziehungsweise die Neubausiedlung. Die perfide Instrumentalisierung von Kunst im Dienste der Aufwertung von Wohnraum, die Steenbock in seiner aktuellen Ausstellung evoziert, könnte leider – angesichts der Rolle, die Kultur bei der Gentrifizierung von Neukölln gespielt hat – „Berliner Seele“ genannt werden.
Anton Steenbock: Da Silva Brokers Art House, bis zum 11. Juni 2020, Weserhalle, Weserstr. 56, Neukölln
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