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Archiv-Artikel

„Schon vorher informiert“

Die ARD spielt im Schleichwerbungsskandal auf Zeit. Volker Lilienthal, der das Product Placement bei „Marienhof“ aufdeckte, über wissende ARD-Granden und fehlenden Kontrollwillen der Anstalten

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

Seit sechs Wochen hält der von der öffentlich-rechtlichen Produktionstochter Bavaria ausgehende Schleichwerbungsskandal die ARD in Atem. Jetzt ist neben der Bavaria und ihren diversen Tochterfirmen auch das zum NDR gehörende Studio Hamburg betroffen (siehe Kasten).

taz: Herr Lilienthal, wie beurteilen Sie die bisherigen Reaktionen der ARD auf die Schleichwerbungsaffäre?

Volker Lilienthal: Diese Art Krisenmanagement überrascht mich schon. Anfangs war ich überzeugt, dass man da wirklich aufräumen wollte, dass man unwissend und unschuldig war. Aber mittlerweile mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass diverse ARD-Granden schon vorher informiert waren.

Die Bavaria wusste seit 2003 von Ihren Recherchen, hat der ARD aber keinen reinen Wein eingeschenkt.

Die Bavaria hat beruhigt mit der Aussage, es handele sich um einen Einzelfall. Und damit haben sich alle zufrieden gegeben. Da war viel Gutgläubigkeit im Spiel und wenig Kontrollwille.

ARD-Programmdirektor Günter Struve hat erklärt, er habe keine Einsicht in die bisherigen vorliegenden internen Prüfberichte bekommen – und ist in Urlaub gefahren.

Dem Herrn Struve, der bestimmt viel zu tun hat, sei der Urlaub gegönnt. Aber auch er hätte nach einem ersten Alarmzeichen im Mai 2004 früher handeln können. In der Tat kann man den Eindruck bekommen, dass das Krisenmanagement der ARD nicht gerade gut läuft. Sie wird überrollt, vor allem von den internen Streitigkeiten, die in der Bavaria eingesetzt haben. Da will jetzt der eine den anderen anschwärzen. Das erwischt die ARD einfach kalt.

Und anders als Frank Döhmann bei Studio Hamburg stirbt Bavaria-Chef Thilo Kleine derweil einen Tod auf Raten: erst die Abmahnung, jetzt die Beurlaubung …

Das sind Ihre Worte, nicht meine. Richtig ist: Von Anfang meiner Recherchen, also seit April 2003, habe ich versucht, ein Interview mit Herrn Kleine zu bekommen. Ich hatte ihm über seinen Sprecher auch signalisiert, worum es geht: nicht um einen Einzelfall, sondern um langjährige Zusammenarbeit der Bavaria mit einer Schleichwerbungsagentur. Diese Hinweise hat er ganz offenkundig nicht ernst genommen und mir sogar erklären lassen, er kenne die Firma H. + S. gar nicht.

Ist die Affäre denn auf die Bavaria und „Tatorte“ begrenzt?

Nein, sicherlich nicht. Die Unterlagen, die ich von der Schleichwerbungsagentur habe, deuten darauf hin, dass viele namhafte TV-Produzenten beständig angebaggert werden, um sie für Placements zu gewinnen. Zum Beispiel die gesamte ARD-Ratgeber- und Gesundheitsschiene. Die Schleichwerbungsagentur hat mir gegenüber sogar für sich in Anspruch genommen, bezahlte PR-Botschaften in die „Tagesthemen“ schmuggeln zu können. Ich will hoffen, dass das nicht stimmt.

Auf eine interne Umfrage des MDR bei den 374 Firmen, die für ihn Programm zuliefern, haben ganze 101 geantwortet. Haben die alle Dreck am Stecken?

Das deutet zumindest darauf hin, dass eine große Zahl der Produzenten die Frage „Sie haben ja wohl keine Geldzahlungen von Dritten angenommen“ nicht offenherzig mit Ja beantworten können. Die Branche steht derzeit extrem unter Druck und hält sich bedeckt.

Auch das ZDF hält sich auffallend zurück, nachdem dort schon 2003 Schleichwerbungsvorwürfe laut wurden.

Das ZDF kann sich beruhigt zurücklehnen: Es stand im vergangenen Sommer unter Beschuss, und da war bei der ARD ein Gutteil Schadenfreude mit im Spiel. Jetzt trifft es die ARD ungleich stärker.

Beim ZDF fiel die anschließende Debatte aber eher spärlich aus.

Die politische Reaktion war da, aber in der Tat etwas kleiner. Jetzt kommen mehrere Dinge zusammen: „Marienhof“ ist eine populäre Serienmarke, das schafft Aufmerksamkeit. Zudem werden die öffentlich-rechtlichen Tochterfirmen ja gerade in Brüssel geprüft. Und dann haben wir es bei der Bavaria mit der drittgrößten deutschen TV-Produktionsfirma überhaupt zu tun – auf die die öffentlich-rechtlichen Gesellschafter, also die vier Sender WDR, SWR, MDR und BR, direkten Kontrollzugriff hätten nehmen können. Was sie aber nicht taten.