berliner szenen
: In Luft aufgelöst

Über Pfingsten besuchte mich eine Freundin und ich gab ihr mein altes Fahrrad, das seit über einem Jahr regungslos im Hinterhof stand, um nicht mit den Öffis fahren zu müssen. Bevor es losging, pumpten wir die Reifen auf und waren froh, dass sie sich überhaupt noch aufpumpen ließen. In diesem Moment freute ich mich über mein altes Fahrrad, dass sich offenbar noch bestens als Gästerad eignete. Zum Glück wollte es damals niemand bei Ebay-Kleinanzeigen kaufen, als ich es erst für 70, dann für 60, dann für 50, dann für 40 und schließlich für 30 Euro anbot. Die Sonne schien und wir fuhren von Schöneberg nach Kreuzberg, wo wir uns schon am Nachmittag in unserer Lieblingsbar fallen ließen und Aperol Spritz bestellten. Erst einer, dann noch einer. Eigentlich hätten wir gerne einen dritten bestellt, wenn nicht meine Freundin um 19 Uhr in Prenzlauer Berg verabredet gewesen wäre. Wir zahlten und stiegen rechtzeitig auf die Räder. Als wir den Gleisdreieckpark erreichten, machte ich noch ein Foto von Freundin und Fahrrad. Kaum waren wir weitergefahren, legte meine Freundin eine Vollbremsung ein. Der gehäkelte Rockschutz – ja, das Fahrrad stammt tatsächlich noch aus den 50ern, wo Frauen wohl vermehrt lange Röcke trugen – hatte sich abgelöst und im Kettenrädchen verfangen. Als wir endlich die einzelnen Bänder des Rockschutzes mühsam rausgefriemelt hatten, löste sich am Kettenrädchen eine Schraube, sodass die Kette keinen Kontakt mehr zum Hinterrad hatte. Resigniert begannen wir, die Räder zu schieben, als ich plötzlich ein Geräusch vernahm, das dem eines Silvesterböllers kurz vor der Explosion ähnelte. Das Geräusch kam allerdings vom Hinterrad, das jetzt auch noch an Luft verlor. Damit löste sich auch die schöne Vorstellung von einem Zweitleben als Gästefahrrad in Luft auf.

Eva Müller-Foell