herr tietz macht einen weiten einwurf : Täglich 1,4 Weltmeisterschaften
Über die Fußballweltmeisterschaft als Ruck-Maschine für Deutschland und eine WM-Arena in München, die zu einem Sechstel voll ist
Die Fußball-Weltmeisterschaft werde jede Menge Arbeitsplätze schaffen, so orgelte es in den vergangenen Tagen durch die deutsche Presse. „Deutschland frohlockt, die Jobmaschine WM brummt“, hieß es etwa im ZDF. Der lang ersehnte Ruck werde endlich durchs Land gehen. Allein der Münchner Feinverköstiger Käfer, der den Zuschlag für die VIP-Speisung in den Stadien erhielt, benötigt 2.000 zusätzliche Kellner. Doch auch kleinere Krämer wie jener ebenfalls im ZDF vorgestellte Münchner Kioskbetreiber kann durch immense Steigerungsraten im WM-Gimmickabsatz auf die nachhaltige Sicherung seiner Existenz setzen. Nicht zu vergessen auch jene zwei, drei festen Arbeitsstellen, die noch im Abwehrbereich der Nationalelf als vakant gelten.
Den Anlass für den hochbrandenden Jobjubel lieferte die Anfang der Woche verbreitete Nachricht von der „Beschäftigungsoffensive WM 2006“. Eine vom Deutschen Fußball-Bund und der Bundesagentur für Arbeit getroffene Vereinbarung über die Meldung und Vermittlung von Arbeitsplätzen, die während der Vorbereitung und Durchführung des Fußballgroßereignisses anfallen. Erster interessierter Anfrager soll ein gewisser Lothar Matthäus gewesen sein. Er stände vom Balleinfetter bis zum Cheftrainer für jeden WM-Job bereit.
Bis zu 50.000 temporäre Verdienstmöglichkeiten insbesondere in der Tourismus-, Safety- und Müllbranche sind dann möglich. 10.000 davon, so Experten, könnten sogar dauerhafte Stellen werden. Eine, zumal in diesen von Verlust und Niedergang geprägten Zeiten, äußerst beeindruckende Zahl. Die allerdings noch imponierender wird, wenn man sie etwas anschaulicher zu beschreiben versucht.
Vielleicht – und um weiterhin im so hoffnungsschwangeren Bild von der Fußball-WM zu bleiben – so: Platzierte man sämtliche dieser voraussichtlich 10.000 fest Vermittelten in dem prächtigen Münchner WM-Stadion, wäre – rechne und staune – ein sattes Sechstel der Sitzplätze besetzt. Natürlich werden notorische Nörgler und kleinmütige Erbsenzähler anmerken, dass auf diese Weise ein Stadion wie die Münchner Arena eigentlich eher leer und öde wirke und dieser Anblick schon deshalb kein besonders symbolträchtiger und aufbruchheischender sein kann, weil er allenfalls der wenig imposanten Zuschauerkulisse entspräche, die der Arena-Mitnutzer 1860 München gegen so Gegner wie Aue oder Paderborn erwarten kann. Solchen Miesmachern aber muss man entgegnen, dass es, analog zu der Lehre vom Wasserglas, immer zwei Wahrnehmungen über die Fülle eines Stadions gibt. Nicht zu fünf Sechsteln leer, sondern zu einem Sechstel voll! So muss man das sehen, wenn es, verdammt noch mal, endlich wieder aufwärts gehen soll in Deutschland.
Wem das aber partout nicht einleuchten will, wird sich möglicherweise durch eine andere Rechnung von der Effizienz der grundweg lobenswerten Joboffensive überzeugen lassen. Man muss nur mal die anvisierte Beschäftigungszahl hochrechnen: Wenn bereits durch eine WM 10.000 Menschen dauerhaft in Arbeit kommen, dann bräuchte es doch, Pi mal Daumen und unterm Strich in toto bloß 500 Fußballweltmeisterschaften, um alle 5 Millionen Arbeitslosen von ihrem Los zu befreien. Das bedeutete, wir müssten, auf ein Jahr gerechnet, pro Tag lediglich ca. 1,4 Fifa-Weltmeisterschaften auf die Beine stellen, schon wäre das Problem der hiesigen Massenarbeitslosigkeit keines mehr. Selbst unter der Maßgabe, dass der damit verbundene organisatorische Aufwand in nur einem Jahr nicht zu wuppen ist und man lieber zwei Jahre anberaumen möchte. Dann wären es nur noch knapp 0,7 Weltmeisterschaften, die wir täglich auszurichten hätten. Vor allem schon so betrachtet muss man die Beschäftigungsoffensive unbedingt als eine ruckhafte anerkennen.
Aber auch nur so.