Austro-Depro-Triptychon

Depression in der Vorstadt: Der Episodenfilm „Antares“ des österreichischen Regisseurs Götz Spielmann überzeugt mit präzis kadrierten Entfremdungsbildern vom grauen Stadtrand

VON CHRISTOPH HUBER

Siedlung am Stadtrand: An der Eröffnungstotale von Götz Spielmanns bemerkenswertem Episodendrama „Antares“ manifestiert sich bereits das Rezeptionsproblem, das diesen Film umgibt, seit er 2004 das österreichische Filmfestival Diagonale eröffnete. Der Ort der Uraufführung scheint passend, wenn nicht sogar paradigmatisch: Tatsächlich manifestierte sich in den meisten negativen Reaktionen auf „Antares“ nicht ein Problem mit dem Film, sondern eines mit Österreichs Gegenwartskino an sich. Die Euphorie um das Ende der Neunziger heftig proklamierte „Österreichische Filmwunder“ mit den international renommierten Namen Michael Haneke und Ulrich Seidl als Speerspitzen und den Debüts einer ganzen Reihe junger Regisseurinnen wie Barbara Albert und Jessica Hausner als Zukunftsversprechen ist einer Katerstimmung gewichen.

So unterschiedlich die Ansätze bei näherer Betrachtung sind – Hanekes bourgeoise Zivilisationskritik hat etwa ein Nahverhältnis zur Frankfurter Schule, die irritierenden, bewusst zwiespältigen, barocken Dokufiktionen von Seidl schließen eher an die altösterreichisch-katholische Tradition der Bußpredigt an (kein Wunder, dass er zuletzt den Beichtfilm „Jesus, du weißt“ gedreht hat) –, so einfach lassen sie sich über einen Kamm scheren. Das erscheint dieser Tage oft nötig, um im Festivalzirkus den Durchbruch als Nation zu schaffen und in einschlägigen Publikationen Artikel über die entsprechende „Neue Welle“ im Lande Sowieso nach sich zu ziehen.

Das Klischee zum österreichischen Kino, gern aufs griffige Schlagwort „Austro-Depro“ verkürzt, lautet in etwa: Unglück und Entfremdung, Sex und Gewalt zwischen Vorstadtsiedlung und Bürgerwohnung, zwischen Swingerclub und Dorfdisco. Vorwürfe von Sozialpessimismus sind schnell – und oft zu Recht – zur Hand. Aber während die einheimische Kritik noch die Determinismuskeule schwingt, wird schon die nächste Dosis „Austro-Depro“ international herumgereicht: Es ist wohl kein Zufall, dass Ruth Maders radikal reduziertes Sozialdrama „Struggle“, das fast wie die parodistische Verdichtung dieser Kino-Tendenzen anmutet, zuletzt die erfolgreichste Festivalkarriere eines österreichischen Spielfilms hinlegte.

Spielmanns dreiteiliges Ensembledrama hat jetzt das Pech, nur zu gut in die Schublade zu passen: Das Projekt, schon vor Jahren entwickelt, ist vielleicht auch deswegen endlich finanziert worden. Die Klischees sind auf den ersten Blick alle versammelt: „Antares“ handelt von unglücklichen Menschen in der Vorstadtsiedlung, deren Lebenswege sich episodisch kreuzen (wie in Seidls „Hundstage“ und in Barbara Alberts Filmen), es gibt im ersten Teil vom virtuosen Kameramann Martin Gschlacht hochpräzis kadrierte Entfremdungsbilder, in denen der erstarrte Kleinbürger Schubert hört (was unweigerlich an Hanekes Frühwerk erinnert), es gibt im zweiten Teil den Ausflug in die Jugo-Disco, und den dritten beherrscht ein gewalttätiger Chauvinist.

Aber Spielmann, dessen Karriere in den Achtzigern begann und der seither, zwischen Fernsehen und Kino pendelnd, eine klare eigenständige Handschrift perfektioniert hat, arbeitet an einem ästhetischen Projekt, das dem von der Krisenerfahrung der Moderne geprägten, fragenden Gegenwartskino seiner Nation eigentlich entgegengesetzt ist: eine Austro-Ausformung des gern als altmodisch abgekanzelten cinéma qualité, ein Beharren auf den Werten eines genau durchgearbeiteten Drehbuchs, sorgfältiger Schauspielerführung und technischer Finesse.

Schon der rein mythologisch motivierte Titel – der Doppelstern „Antares“ ist mit heftigen Gefühlen konnotiert – kündet von dieser literarischen Konzeption. Dazu passt, dass Spielmanns genaue, von faszinierter Distanz geprägte Inszenierung im Rahmen der ersten, im bürgerlichen Milieu angesiedelten Episode einer an Routine erkrankten Ehe am überzeugendsten ausfällt, und dazu passt auch deren frankophiles Element: Die offenherzigen Sexszenen der Protagonistin Eva (Petra Morzé) mit einem Liebhaber erinnern von fern an Patrice Chéreaus „Intimacy“. Die folgenden Eifersuchtsdramen im Arbeitermilieu verdanken emotionale Authentizität eher dem durchgängig starken Ensemble und der (gelegentlich: fast zu) prosaischen Verwebung der Geschichten. Vor allem überzeugt aber die ausgewogene Gestaltung der Charaktere: Die einzige unbelehrbare Figur führt unbedacht den eigenen Untergang herbei, die Schuldigkeiten der anderen balancieren sich sorgfältig aus, und am Ende steht jeweils die Hoffnung auf einen Neubeginn. Trotz typisch trister Atmosphäre ist „Antares“ letztlich ein unösterreichisch utopischer Film über die Liebe: Im Schlussbild legt sich das graue Licht des neuen Morgens über die Siedlung am Stadtrand.

„Antares“, Regie: Götz Spielmann. Mit Petra Morzé, Andreas Patton u. a. Österreich 2004, 119 Min.