berliner szenen: Glückliche Eltern – wie uncool
In der S-Bahn sitzen zwei junge Frauen nebeneinander und unterhalten sich darüber, wann sie das letzte Mal ihre Eltern gesehen haben. Die eine trägt einen Dutt und eine Jeansjacke, die andere sieht aus wie aus den 80ern. Ihre Haare trägt sie in einem Vokuhila, dazu eine blaue Jacke mit riesigen Schulterpolstern und Stonewashed-Jeans.
Die Frau mit Dutt sagt: „Es ist kompliziert. Die Frau meines Vaters ist herzkrank, das heißt, sie habe ich ewig nicht gesehen. Meinen Vater treffe ich manchmal zum Spazieren draußen, aber na ja, die leben in Spandau. Allein deswegen sehen wir uns selten. Meine Mutter und ihren Freund habe ich schon seit einem Jahr nicht gesehen. Die leben zwar auch in Spandau, aber das ist nicht so einfach unter einen Hut zu bringen.“
„Oh“, macht die andere.
„Ja, ist irgendwie auch immer kompliziert mit den Elternteilen. Erst trennen sie sich, dann finden sie wieder Partner, tun dann aber so, als hätte der jeweils andere sie betrogen. Dann mischen sich die neuen Partner auch noch ein und als Kind musst du immer auf jeder Seite sein, sonst bist du nämlich manipuliert von der anderen Seite und der Arsch.“
Sie guckt erschöpft. „So ist es immer, oder?“
Die mit dem Vokuhila wackelt mit dem Kopf, sagt aber nichts.
„Und wie ist es bei dir?“, fragt die mit Dutt.
Die mit dem Vokuhila seufzt und sagt: „Also, ich weiß, das kommt jetzt komisch.“ Sie lacht verlegen.
„Weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, aber meine Eltern sind noch zusammen.“
Die Erste nickt und sagt beruhigend: „Macht ja nichts.“
„Na ja, ist schon komisch, wenn ich sage, dass ich in Zehlendorf wohne und meine Eltern noch zusammen sind“, findet die andere. „Irgendwie uncool.“
„Nee, echt“, sagt die mit Dutt großzügig. „Mach dir keinen Kopf.“ Isobel Markus
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