„Wir haben Tausende von Schweinen“

Im Kunsthaus Stade würdigt eine Ausstellung die Trickfilmer*innen Elke und Dieter Loewe – und ihre bekannteste Kreation: „Piggeldy & Frederick“

Erfolgreiche Fernsehschweinchen: Am Ende jedes Dreiminüters hat Frederick seinem kleinen Bruder Piggeldy wieder ein Stückchen Welt erklärt Foto: Abb. © Elke Loewe

Von Wilfried Hippen

Ist das Kunst oder Kinderkram? Die Frage könnte sich stellen bei „Piggeldy & Frederick“: Sind die Zeichentrickfilme über diese beiden Schweine, von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre Teil der Kinderzubettgeh-Sendung „Sandmännchen“, es wert, mit einer Ausstellung gewürdigt zu werden? Für Sebastian Möllers, den Leiter des Kunsthauses im niedersächsischen Stade, ist das eine sehr deutsche Frage – in Kulturnationen wie Frankreich und Japan würde sie nicht gestellt: Dort gehören Comics und animierte Filme ganz selbstverständlich zu den anerkannten Kunstformen.

Zudem haben „Piggeldy & Frederick“ einen eigenen Stil, den die Erfinder*innen Elke und Dieter ­Loewe weiterentwickelt, aber nie grundsätzlich verändert haben. Die beiden scherten sich auch nie darum, ob ihre Werke „kindgerecht“ waren – und die kleinen Geschichten haben eine oft erstaunliche philosophische Tiefe: „Tand ist das Gebilde aus Menschenhand“ erklärt Frederick seinem kleinen Bruder Piggeldy, als der sich über den Müll beschwert, den die Menschen an einem Strand zurückgelassen haben. Der Vergleich mit Charles M. Schulz’„Peanuts“ ist da nicht zu hoch gegriffen, auch wenn „Piggeldy & Frederick“ mit nur zwei Hauptfiguren noch etwas reduzierter ist. Bis auf die Tonaufnahmen mit Sprecher Gottfried Kramer ist hier alles von den Loewes hausgemacht – und die sind auch in diesem Sinne lupenreine Autorenfilmer*innen.

Alle Episoden folgen dabei dem gleichen, geradezu rituellen Ablauf: Piggeldy stellt seinem großen Bruder eine Frage und Frederick erwidert darauf: „Nichts leichter als das, komm mit!“ Dann machen die beiden einen kleinen Ausflug, Frederick erklärt seinem Bruder ihre Welt, in der die Menschen nur störende Fremdkörper sind. Und der letzte Satz ist immer: „Und Piggeldy ging mit Frederick nach Hause.“

Dieter Loewe zeichnete für jede Sequenz neue Schweine und Hintergründe

Produziert wurden die Drei-Minuten-Trickfilme ganz in der Nähe von Stade: Im Moor, bei Mulsum, hatten sich die Loewes einst eine Schule zum Trickfilmstudio umgebaut. Und wie viele Künst­le­r*in­nen wurden sie zuerst verkannt: Der Redakteur ihres Heimsenders NDR lehnte ihr Konzept für eine Serie ab, auch die Redakteurin des westdeutschen „Sandmännchens“ war skeptisch. Aber sie gab zehn Folgen in Auftrag – wodurch die Loewes und ihr Studio der Pleite entgingen. „Piggeldy & Frederick“ wurden dann sehr erfolgreich: Das Team produzierte mehr als 140 Folgen, dazu kamen Bücher, CDs, Geschirr. Viele ihrer Filme sind auf Youtube hochgeladen, die Episode „Faulheit“ hat über 800.000 Aufrufe.

In diesem Jahr werden Piggeldy und Frederick 50 Jahre alt, da ist dann eine Ausstellung über die Arbeiten des Künstler*innenpaars nur angemessen – zumal vom Wirken der Loewes in der Region bisher kaum jemand etwas wusste. Dass sie nun aber auch tatsächlich zustande kam, ermöglichte Elke ­Loewe, die den Nachlass ihres 1998 verstorbenen Partners aus dem Studio zur Verfügung stellte: Dort gab es eine Unmenge von Zeichnungen und Entwürfen. „Wir haben Tausende von Schweinen“, sagt Museumsleiter Möllers und erklärt, dass Dieter Loewe für jede Sequenz neue Schweine und Hintergründe gezeichnet habe. Er hätte es sich auch einfacher machen können, in die Schublade greifen und Fertiges wiederverwerten können, aber der Zeichner konzentrierte sich in seiner Arbeit völlig auf die beiden Tierchen. Die wurden im Laufe der Jahrzehnte immer komplexer, sodass verschiedene Schaffensperioden zu erkennen sind.

Elke Loewe war für Geschichten und Dialoge verantwortlich, und weil daran nicht ständig weiter herumgebastelt werden konnte, blieb ihr Zeit auch für andere Projekte: So schrieb sie eigene Fernsehserien wie „Geschichten hinterm Deich“ und „Teufelsmoor“, 1982 das Drehbuch für den bis heute einzigen Tatort komplett auf Plattdeutsch – „Wat Recht is, mutt Recht bliewen“ mit dem Bremerhavener Ermittler Nikolaus Schnoor (Uwe Dallmeier) –, später historische und Kriminalromane.

Für den Katalog zur Ausstellung, den Möller lieber ein „Magazin“ nennt, hat Elke Loewe neben Erinnerungen auch eine neue Episode geschrieben: Darin sinnieren Frederick und Piggeldy darüber, ob vielleicht Menschen sie erfunden und gezeichnet haben. „Sie könnten uns ausradieren“, ist Piggeldys logische Befürchtung, aber sein großer Bruder kann ihn beruhigen: „Ich glaube, der Stift war wasserdicht!“

Stießen anfangs auf Skepsis: Elke und Dieter Loewe in den 1970er-Jahren Foto: Foto © Elke Loewe

Wie konzipiert man nun aber eine Ausstellung über etwas, das jede*r bequem auf dem eigenen Smartphone oder Laptop ansehen kann? Einige Filme werden nun in Stade vorgeführt, aber wichtiger ist das Material aus dem Studio: So präsentiert die Ausstellung viele der Entwürfe, und weil man sich an zwei Schweinen auch sattsehen kann, demonstriert das Beispiel eines Loewe’schen Esels, wie viele gezeichnete Körperteile und „Gesichtsausdrücke“ es braucht, damit eine Szene vor der Kamera lebendig werden kann. Für jede Folge existierte ein Storyboard, also ein gezeichneter Ablaufplan – jedoch fand sich nur noch ein einziges Exemplar, das nun ein wichtiges Objekt der Ausstellung ist. Möllers war es wichtig, den Arbeitsprozess der Legetechnik zu zeigen. In einem Raum ist Loewes originaler Arbeitstisch aufgebaut, und der Trickfilmerkollege Franz Winzentsen hat für das Magazin einen erklärenden Text geschrieben.

Für Kinder soll es im Sommer Workshops geben, in denen sie selber Trickfilme basteln können, Kitas und Schulklassen sollen irgendwann auch außerhalb der Öffnungszeiten Führungen buchen können. Aber in diesen Zeiten gibt es für kein Museum Planungssicherheit – ob die Eröffnung am Samstag stattfinden können würde, wusste Anfang der Woche noch niemand. Dabei ist die Ausstellung schon unter Hygienebedingungen konzipiert: Die Abstände zwischen den Exponaten sind größer, ein Kinoraum fehlt. Einlass wird nur bei Reservierung gewährt und das nicht mehr als 160 Gästen pro Tag.

„50 Jahre Piggeldy & Frederick. Nichts leichter als das ...“: 8. 5.–5. 9., Kunsthaus Stade, Wasser West 7; www.museen-stade.de