Peter Zwanzger über Depression: Macht Pandemie depressiv?

Psychiater Peter Zwanzger über die Arbeit mit psychischen Erkrankungen und das Stigma um mentale Gesundheit.

Eine Frau läuft alleine über eine Sandbank am Wohlenberger Wieck an der Ostseeküste.

Alleinsein und Isolation können beängstigend sein – vor allem, wenn man schon psychisch krank ist Foto: Jens Büttner/dpa

Interview von KLAUDIA LAGOZINSKI

taz am Wochenende: Herr Zwanzger, Sie sind Leiter eines Fachbereichs für Psychosomatik mit den Therapieschwerpunkten Angsterkrankungen und Depression. Was ist Ihnen in den vergangenen Monaten aufgefallen?

Peter Zwanzger: Wenn Sie psychotherapeutisch arbeiten, wollen Sie den Menschen mit seiner ganzen ­Ausdruckskraft beurteilen. Für uns ist es ein Problem, wenn wir das Gesicht der Menschen nicht mehr sehen. Wir können nicht mehr genau erkennen, wie es unseren Patienten geht. Gerade feine mimische Veränderungen sind hilfreich, um nicht sofort wahrnehmbare Emotionen aufzuspüren.

Auch Psych­ia­te­r*in­nen und The­ra­peu­t*in­nen müssen sich an Abstands- und Hygiene­re­geln halten. Wie verändert das Ihre Arbeit?

Es ist schwieriger, unseren Pa­ti­en­t*in­nen Perspektiven zu eröffnen. Es gibt auch weniger ambulante und stationäre Behandlungsmöglichkeiten, weil viele Kliniken Plätze sperren mussten.

Wie wirkt sich die derzeitige Lage auf die gesamtgesellschaftliche Befindlichkeit aus?

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Die Coronapandemie hat Einfluss auf die Seele, das steht außer Frage. Man kann aber nicht sagen: Pandemie macht Depression. Die Traurigkeit und die Angst nimmt zu – bei praktisch allen Menschen. Jedoch wird nicht jeder direkt mit einer psychischen Erkrankung diagnostiziert, aber es erhöht die Empfindlichkeit und die Bereitschaft, eine zu entwickeln.

Was ist mit denjenigen, die schon vor der Pandemie depressiv waren?

Diese Menschen haben ein höheres Risiko, erneut zu erkranken. Der Heilungsverlauf wird verzögert. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führen dazu, dass viele keine Perspektive sehen, nicht mehr wissen, wie ihr Leben weitergehen soll. Diese Gefühle der Verzweiflung werden wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Monate richtig zum Tragen kommen. Mit den Folgeproblemen werden wir noch zu kämpfen haben.

Welche Probleme sind jetzt schon aufgetreten?

Wir können beispielsweise im Krankenhaus keinen Besuch zulassen. Das ist ja nicht wie bei einer Blinddarmoperation, bei der ein Patient nur drei, vier Tage im Krankenhaus liegt. Gerade schwere Depressionen werden über mehrere Wochen behandelt. Wenn kein Besuch kommen kann, ist das für Patienten eine Katastrophe.

Auf dem taz lab wollen wir ergründen, wie man über Depressionen und mentale Gesundheit sprechen kann. Sehen Sie dahingehend Bedarf?

Es wird mehr als früher über psychische Gesundheit gesprochen, das Thema erhält mediale Aufmerksamkeit. Wir haben momentan aber ein paralleles Phänomen: Auf der einen Seite Anti­stig­ma­kam­pag­nen und gleichzeitig das Weiter­be­stehen des Stigmas. Es gibt Stig­ma­ti­sierungsprozesse, die für den Normalverbraucher überhaupt nicht spürbar sind.

Was meinen Sie damit?

Wir sind so sensibel geworden. Gerade in Deutschland haben wir Fortschritte gemacht. Das Thema Rassismus ist inzwischen groß. Wir sind uns bewusst, dass wir durch die Worte, die wir verwenden, schon stigmatisieren, weil wir dafür sensibilisiert sind. Auch beim Thema Gender:„Ärzt*innen und Therapeut*innen“.

Und beim Thema mentale Gesundheit?

Zwar ist es grundsätzlich so, dass die Psychiatrie und psychische Erkrankungen medial begleitet werden und darüber berichtet wird, aber in der Allgemeinkommunikation ist das Thema weiterhin massiv negativ besetzt. Man würde beispielsweise in keiner anderen Disziplin sagen: „Der Patient ist schließlich in der Psychiatrie gelandet“, übersetzt: auf der Endstation angekommen.

Man würde nie sagen, der Patient ist in der Neurologie gelandet, in der Chirurgie gelandet. Die Terminologie „mit Medikamenten vollgepumpt“ kennt man nur im Zusammenhang mit der Psychiatrie, auch in modernen Spielfilmen und Serien. Die Regisseure befördern sozusagen diese Vorstellung, dass da zwei dicke Pfleger kommen und einen irgendwo festmachen. Das ist das, was die Leute im Kopf haben.

Das Wort „depressiv“ wird vielseitig verwendet. Kann das problematisch sein?

Man muss es als Kollateralgefahr im Auge behalten. Wenn man es nicht differenziert betrachtet, dann kann der Begriff der Depression inflationär gebraucht werden, dass man bei einem kleinen Anflug von schlechter Stimmung schon sagt: Der ist depressiv. Deswegen ist es wichtig, dass eine solche Erkrankung – wenn man den Verdacht hat – professionell diagnostiziert wird.

Peter Zwanzger, Jahrgang 1968, ist Ärztlicher Direktor am Inn-Salz­ach-­Klinikum und leitet dort den Fachbereich Psychosomatik.