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Archiv-Artikel

Allah in Schwäbisch Gmünd

In Schwäbisch Gmünd stehen Muslime und Christen gemeinsam auf der Bühne. Es gilt, das 850-Jahr-Stadtjubiläum und sich selbst zu feiern. Doch hinter den Kulissen ist nicht alles eitel Freude. So wird der Bau der Moschee in der erzkatholischen Stadt seit Jahren misstrauisch beäugt

Die Blaue Moschee aus Istanbul auf dem Marktplatz von Schwäbisch Gmünd (Fotomontage oben)? So groß mögen die Befürchtungen vieler Gmünder auch drei Jahre nach Baubeginn noch sein – die Moschee aber wird deutlich kleiner (Foto rechts).

In der Bilderleiste, von oben nach unten: Bilal Dincel als byzantinischer Kaiser beim Stadtfest. – Mitglieder des türkisch-islamischen Vereins packen beim Moscheebau mit an. – Es kann gebetet werden

von Susanne Stiefel (Text) und Jo Röttgers (Fotos)

Bilal Dincel ist schwäbischer als mancher Gmünder. Das hört man schon am Dialekt. Und deutscher als mancher Deutsche. Das merkt man an seinem Stolz auf seine Heimatstadt. Türkisch ist vielleicht diese Beharrlichkeit, mit der er für eine Moschee und deren Anerkennung in der Stauferstadt kämpft. Und der Humor, den sich der Unternehmer „im besten Schwabenalter“ (Dincel über Dincel) auch von den unerwartet heftigen Widerständen nicht nehmen lässt. „Ich hab mir das einfacher vorgestellt“, bekennt der Gmünder SPD-Stadtrat.

Manchmal kostet dieser Humor Mühe. Sogar während dieses Jubiläums, das die Stadt in umarmende Feierlaune versetzt, bei dem sich 1.200 BürgerInnen auf der Bühne zu einer Staufergemeinde zusammengeschlossen haben und gegen Gewitter und Regen zusammenrücken. Doch hinter den Kulissen spielt sich ein anderes Stück ab, das die Stadt seit einigen Jahren in Atem hält: das Theater um den Moscheebau und die damit verbundenen Vorurteile, die viele Schwaben nur schwer verbergen können.

Bilal Dincel, der schwäbische Türke, spielt in der Staufersaga einen byzantinischen Herrscher, Vater der Stauferkönigin Irene von Byzanz. Sein Job auf der Bühne: er verabschiedet seine Tochter auf ihrem Weg nach Schwaben mit einem Kreuz. „Du machst das nicht mit der nötigen Hingabe, soll ich dir mal zeigen, wie das geht?“, raunzte ihn bei den Proben der herausgeputzte staufische Edelmann an. Der heißt im richtigen Leben Celestino Piazza, ist CDU-Stadtrat, überzeugter Katholik und Dincels heftigster Widersacher in Sachen Moschee. Dincel lacht. Es ist ein Lachen zwischen Verwunderung und Trotz, die Reaktion eines Mannes, der glaubte, längst in Deutschland angekommen zu sein. Doch der 40-jährige Türke mit deutschem Pass, der auch am runden Tisch der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney sitzt, will sich das Lachen nicht stehlen lassen.

Als vor sechs Jahren der Bebauungsplan geändert werden sollte, damit im Gewerbegebiet Becherlehen eine Moschee gebaut werden konnte, ging es im Schwäbisch Gmünder Gemeinderat zu wie auf dem Basar. Drei oder zwei Minarette? Vorne an der Hauptstraße oder hinten? 40 oder 30 Meter hoch? Es wurden zwei Stummelminarette, 13 Meter hoch, versteckt in einer Seitenstraße. Eine Moschee sollte auf keinen Fall das Stadtbild des katholischen Schwäbisch Gmünd prägen. Eine Parallelgesellschaft sahen die einen in dem Neubau heranwachsen; die Rechte der türkischen Frauen, um die sich bis dato nie jemand gekümmert hatte, beschnitten; die jungen Mädchen unters Kopftuch gezwängt und vom Schwimmunterricht ausgeschlossen. CDU und Freie Wähler beharkten sich mit SPD und Grünen, begleitet von Leserbriefschlachten und hitzigen Podiumsdiskussionen. Das katholische Schwäbisch Gmünd rüstete zum modernen Kreuzzug. Heute will man davon nichts mehr wissen. Endlich Ruhe haben. Doch der Lack der Harmonie ist dünn.

Moscheeführungen gegen das Misstrauen

So sieht die umstrittene Moschee also aus. Neugierig gehen die Schülerinnen des Mutlanger Franziskus-Gymnasiums durch die Baustelle. Die Kuppel ist schon im Rohbau, der Frauentrakt oben, die Männer unten, im Keller soll ein Einkaufszentrum entstehen, Aufenthaltsräume für die Jugend, für die Frauen und Männer. Der Vorstand des türkisch-muslimischen Vereins hat sein Zimmer schon bezogen, an der Wand hängen Atatürk und die türkische Flagge. Die 14-jährigen Schülerinnen haben sich ein Schuljahr lang im Religionsunterricht mit dem Islam beschäftigt, die Klassenarbeit haben sie schon geschrieben, jetzt wollen sie mit ihrem Lehrer mal schauen, wie die Praxis aussieht.

Cigdem Aggül führt die 27 Mädchen durch die Baustelle: „Vorsicht, da liegt viel rum.“ Die PH-Studentin trägt ein Kopftuch. Und was macht sie, wenn sie in die Schule kommt? „Dann leg ich es ab“, sagt die junge Frau selbstverständlich. Fereshta Ludin, die Gmünder Muslimin, die vor Jahren in einem Prozessmarathon dafür stritt, auch als Referendarin ihr Kopftuch tragen zu dürfen, ist nicht ihr Vorbild. Sie will erklären, was der Islam als Religion bedeutet, missionieren will die gläubige Muslimin nicht. Die zierliche Frau, die kaum älter aussieht als die Schülerinnen, fragt nach den fünf Säulen des Islam. Die katholischen Jugendlichen haben ihre Hausaufgaben gemacht und antworten brav. Und wollen ihrerseits wissen, ob Zwangsheiraten etwas mit dem Islam zu tun haben. Nein, mit kulturellen Normen, antwortet Cigdem Aggül. Es gibt viele dieser Führungen, der türkisch-islamische Verein will transparent sein, zeigen, dass hier keine Parallelgesellschaft entsteht, um Verständnis werben. „Wir hatten auch schon viele Bundestagsabgeordnete und sogar Minister hier“, sagt Ismail Öztürk.

Der Spagat zwischen den Kulturen macht krank

Ismail Öztürk geht an Krücken. Meniskusoperation. Geschickt balanciert der Vorsitzende des türkisch-islamischen Vereins die Stufen der Fußgängerbrücke hoch, über die Bahngleise, die die Moschee im Industriegebiet mit der Innenstadt verbindet. Anstrengend ist das, aber der 46-Jährige hat noch Luft für einen schwäbischen Plausch mit der Kollegin aus dem Integrationsbeirat, wie der städtische Ausländerbeirat seit Neuestem heißt, in dem auch er sitzt. Und auf ein paar türkische Worte mit einem Mitglied seines Vereins. Öztürk kann nicht aufhören zu erzählen. Von den Anfängen der Moschee neben dem Bahnhof, die der Landesgartenschau 2014 weichen musste. Der schwierigen Suche nach einem Ort, an dem der Verein eine neue Moschee bauen konnte. Aber auch davon, wie er im Alter von zehn Jahren nach Schwäbisch Gmünd kam, von seiner Arbeit als Metaller, als Vertrauensmann, seinem Engagement in der IG Metall.

Er ist hineingewachsen in diese Stadt. Manche würden sagen, er ist angepasst. Er selbst will eine Brücke sein zwischen den Kulturen, die ihm beide vertraut sind, ein Vermittler und Überwinder von Vorurteilen. Und hat dabei lange nicht gemerkt, dass dieser Kampf anstrengend ist wie der Gang auf Krücken über diese schmale Schwäbisch Gmünder Brücke.

Er hat in seinem türkisch-islamischen Verein gegen Extremisten gekämpft, am schlimmsten, sagt er, waren die deutschen Konvertiten, die den türkischen Moscheebesuchern die Fahne geklaut haben und ihnen vorwarfen, dass sie keine gläubigen Muslime seien, auch ein Pakistani war darunter. „Die haben bei uns nichts verloren“, sagt der Mann mit der Brille. Und er hat bei den katholischen Gmündern immer wieder für seine Moschee geworben, hat sie geöffnet am Tag der Deutschen Einheit, hat den Anschlag auf das World Trade Center verurteilt, die Salafisten, die in der Fußgängerzone den Koran verteilen, ebenso wie die Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen. Immer wieder schwappte die große Politik ins kleine Gmünd, und Ismail Öztürk hat geduldig, fast duldsam erklärt, immer wieder, auch dann noch, wenn ihm in hasserfüllten Leserbriefen das tiefe Misstrauen entgegenschlug, das sich in der Stadt breitmachte. In der Stadt, die er als seine Heimat betrachtet, in der er seit vielen Jahren lebt.

Missverständnisse auch beim Namen Sehitler

Die Sehenswürdigkeiten der 60.000-Einwohner-Stadt an der Rems, aufgelistet auf der städtischen Homepage, lesen sich wie eine Einführung in die katholische Glaubenslehre. Schwäbisch Gmünd hat das Heilig-Kreuz-Münster, das Spital zum Heiligen Geist, den Marienbrunnen, die Mariensäule, die Johanniskirche, die Augustinerkirche. Und bald eben auch eine Moschee mit Kuppel und Stummelminaretten. Doch damit können sich viele Schwaben nur schwer anfreunden. Die Gegner von einst wollen heute nicht mehr darüber reden: Stadtjubiläum, keine Zeit.

Ismail Öztürk ist ein freundlicher Mann. Der Spagat zwischen den Kulturen hat ihn krank gemacht. Und wenn es kein so ernstes Thema wäre, könnte man lachen über die seltsamen Blüten, die das Misstrauen der alteingesessenen BürgerInnen gegenüber ihren muslimischen Nachbarn treibt. Sehitler Merkez Camii heißt das Schwäbisch Gmünder Gebetshaus der Didip-Gemeinde. So steht es auch auf einer Tafel am Gebäude. Neulich rief eine Nachbarin besorgt bei der Stadt an. „Unsere Türken sind ja schon fast zu sehr angepasst“, sagte sie, „die haben ihre Moschee nach Hitler genannt.“ Halbwissen und Vorurteile sind die schlimmsten Feinde der Toleranz. Sehitler heißt übersetzt Märtyrer und bezieht sich auf die Märtyrer der islamischen Geschichte. Seit dem 11. September 2001 ist dieser Begriff mit Vorsicht zu verwenden. Ismail Öztürk überlegt, die Moschee in Merkez Camii umzubenennen, schlicht Begegnungszentrum und Moschee. Frei von Missverständnissen, wie er hofft. Und er lädt alle Schwäbisch Gmünder ein in die Moschee, immer wieder. Öztürk ist ein geduldiger Mann.

Schwäbisch Gmünd ist inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Schuld daran ist der Bud-Spencer-Tunnel, der nicht so heißen darf, obwohl die Facebook-Gemeinde mit Mehrheit dafür gestimmt hat. Der Gmünder Gemeinderat hat die Notbremse gezogen. Das Schwimmbad heißt nun Bud-Bad nach dem Italowestern-Helden. Schwäbisch Gmünd ist die Stadt mit der größten Designerdichte Europas, bekannt durch Gold- und Silberschmuck und den Bioanbieter Weleda. Seit drei Jahren hat die Stadt mit dem früheren Chef der baden-württembergischen Vertretung in Brüssel einen liberalen CDU-Oberbürgermeister, der schwul ist und ein Herz für Minderheiten hat. Und jetzt bekommt Schwäbisch Gmünd eine Moschee. „Wir müssen die Gemeinsamkeit endlich leben“, sagt OB Richard Arnold und beschwört die ehrenamtlich einstudierte Staufersaga, bei der auch türkischstämmige Schwäbisch Gmünder und Asylbewerber mitspielten. Ebenso die ehrenamtliche Restaurierung der Wallfahrtskirche Salvator, bei der türkische Gmünder gerne mithelfen dürfen. Ehrenamtlich.

Doch Toleranz ist keine Einbahnstraße, die nur von „Türkisch Gmündern“ eingefordert werden kann. Toleranz beweist sich nicht nur in Feierlaune, sondern im gemeinsamen Alltag. Dafür muss sich im Denken und Handeln der „Schwäbisch Gmünder“ noch einiges ändern.