berliner szenen: Geblümte Bluse und ein Rock
Ich habe zugenommen. Es ist nicht viel, es ist nur schlecht verteilt, und ich nutze die Energie meiner Unzufriedenheit, um endlich meinen Kleiderschrank aufzuräumen. Da grad kein Kleidertausch stattfinden kann, spende ich die Sachen. Beim Aussortieren kommen mir das Zu- und Abnehmen meines Körpers und reziprok dazu das meines Kleiderschranks wie die Gezeiten vor. Mein Hintern in der weißen Hose sieht im Spiegel auch ein bisschen aus wie der Mond. Es hängt also alles zusammen, denke ich und werfe die Hose in eine Tüte. Ein paar Stunden später schleppe ich die Tüte zur Spendentonne und stelle fest, dass sie übervoll ist. Aus der Schubladenklappe fallen schon einzelne Kleidungsstücke wieder heraus. Darunter eine geblümte Bluse. Sie liegt mir quasi zu Füßen. Ich hebe sie auf, betrachte sie wie im Geschäft und denke: Och.
Ich sehe mich um und während ich noch überlege, hält ein Auto und eine kleine Frau steigt aus. Sie öffnet ihren Kofferraum und holt ebenfalls eine Tüte heraus.
„Es ist alles voll“, rufe ich und zeige mit der Bluse auf die Klappe. Sie guckt die überladene Klappe an, dann mich und die Bluse und sagt: „Wollten Sie die etwa wegtun? Die ist doch hübsch.“ Ich sehe auf die Bluse, dann auf die Frau und sage: „Also die lag hier schon.“
„Warten Sie mal“, sagt sie, bückt sich und kramt in ihrer Tüte. Sie hält mir einen Rock hin, der aussieht, als gehöre er zu dieser Bluse. „Gucken Sie mal, der passt doch super dazu, finden Sie nicht?“
Sie nickt mir bestimmt zu. „Das nehmen Sie jetzt, ist doch schön“, dreht sich um und fährt wieder weg.
Wieder zu Hause gucke ich auf meine Tüte, die neue Bluse und den Rock der Frau und denke an die Postkarte mit dem Zitat von Groucho Marx, die bei uns in der WG hing: „Der Müllmann ist da. Sag ihm, wir brauchen nichts.“
Isobel Marcus
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