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Archiv-Artikel

Achten Sie auf den Schattenwurf

HARD-BOILED Das Frankfurter Filmmuseum widmet sich in einer sehenswerten Sonderausstellung dem Film noir, einem schier unverwüstlichen Genre

Extreme Unter- und Aufsichten prägen die Bilder, und manchmal kippt die Kamera

VON SHIRIN SOJITRAWALLA

Wer nach dieser Ausstellung wieder auf die hellwachen Straßen Frankfurts tritt, blinzelt mickrig und uncool ins Tageslicht und hat dabei so gar nichts gemein mit den Helden und Heldinnen des Film noir. Nicht mit den in Trenchcoat und Hut gewandeten Kerlen, die rauchen, trinken, schießen, whiskeygeölte Stimmen haben und stets das eigene Versagen im Augenwinkel bergen. Und nicht mit den extravagant kühlen, giftigblonden Frauen, die rauchen, trinken, schießen und dabei immer ein Versprechen im Mundwinkel tragen. In einer anregenden Sonderausstellung im Frankfurter Filmmuseum kann man sie jetzt bestaunen, diese Prototypen eines Filmgenres, dessen wesentliches Prinzip der Regisseur Paul Schrader einmal so umriss: „Das Wie ist immer wichtiger als das Was.“

Film noir, schwarzer Film, so taufte 1946 der französische Filmkritiker Nino Frank jene Filme, deren Entstehung untrennbar mit den sogenannten Hardboiled-Kriminalromanen von Raymond Chandler („The Big Sleep“), Dashiell Hammett („The Maltese Falcon“) und Co. verbunden ist: Harte Jungs lösen harte Fälle in nächtlichen Großstädten. In Frankfurt kann man sich Ausschnitte aus ihren Romanen vorlesen lassen. Jenseits davon vertraut die von Jule Murmann und Stefanie Plappert kuratierte Schau klugerweise dem Medium, dem sie huldigt, indem sie den Film als ihr wichtigstes Ausstellungsstück ins Herz der finsteren Räume rückt. Auf Leinwänden und Bildschirmen laufen Filmausschnitte, die prägende Stilelemente des Genres veranschaulichen. Nach und nach werden die Besucher mit seinen Eigenheiten vertraut gemacht, etwa mit der besonderen Kameraführung im Film noir, die sich durch extreme Unter- und Aufsichten auszeichnet und die Kamera schon mal zum Kippen bringt. Oder mit seinen krassen Hell-dunkel-Kontrasten, seinen standardisierten Schauplätzen und Bildaufbauten.

Dabei führt die klar strukturierte Ausstellung den Besucher durch ein adäquates Ambiente: düstere Räume, eine nächtliche Straße, an deren Seite sich Hochhäuser hochschrauben, von Jalousien geteilte Schattenwürfe, Schreibtische mit grün leuchtenden Lampen aus längst vergangenen Drehtagen. Als Entree dient eine Bar, und in grell orangefarbenen Salons darf man es sich gemütlich machen. Das auffällige Setdesign von chezweitz & partner sorgt für hübsch ausgeheckte Nebeneffekte, doch die Schau besticht vornehmlich mit ihrem reichhaltigen Anschauungsmaterial.

Etwa 400 Filme, die in den Jahren zwischen 1941 und 1958 in Hollywood zunächst meist als B-Pictures gedreht wurden, vereint die Ära Film noir, deren Ende „Touch of Evil“ von Orson Welles markiert. Selbstverständlich gab es Vorläufer, so wie es bis heute Nachahmer gibt. Alfred Hitchcock beweist mit seinem zweiminütigen Ausschnitt aus „Der Mieter“ aus dem Jahr 1927 meisterhaft, wie man in Schwarz-Weiß das Gruseln lehrt. Und wer die Szenen aus Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) und Murnaus „Nosferatu“ (1922) noch einmal im Hinblick auf ihre Einflüsse auf den Film noir in Augenschein nimmt, wird mit Aha-Effekten belohnt. Die lang hingeworfenen Schatten der Figuren in expressiv ausgestalteten Räumen verweisen auf die Bildgestaltung kommender Tage. Polanskis „Chinatown“ aus dem Jahr 1974 ordnet sich dann nicht nur auf der Handlungsebene den Erfordernissen des Genres unter: Schöne Frau beauftragt Privatdetektiv, ihren Ehemann zu observieren.

Dabei sind es vor allem diejenigen Filme, die nicht unter dem Label Film noir laufen, aber unverkennbar auf seine Stilmittel zurückgreifen, die in dieser Ausstellung den Blick bannen. Wenn etwa der blutjunge Robert de Niro in Scorseses „Taxi Driver“ seinen Wagen über den regenglänzenden Asphalt des nächtlichen New Yorks lenkt, begleitet von seiner eigenen Stimme als subjektivem Voice-over-Kommentar, ist das hundertprozentig dem Film noir abgelauscht. Dasselbe gilt für Teile von Lars von Triers dunkel pochendem Leinwanddrama „Europa“ und auch für die Sexszene im Aufzug von „Eine verhängnisvolle Affäre“, in der Glenn Close (Femme fatale!) und Michael Douglas übereinander herfallen und die waghalsige Kameraführung immer wieder den Blick verstellt und den Zuschauer allein deswegen zum Voyeur macht. Geländer, Jalousien oder Gitter versperren im Film noir oft die Sicht und bilden gestreifte Schattenmuster.

Lässiger Triumph

Alle Ausschnitte gemeinsam zeugen von der ungeheuren Haltbarkeit eines Stils samt seiner Erzählformen und -strukturen. Szenen aus „Mulholland Drive“ von David Lynch, aus „Sieben“ von David Fincher oder aus „I Hired a Contract Killer“ von Aki Kaurismäki und viele andere entblößen dabei Stilelemente des Genres wie Art und Weisen ihrer Regisseure, mit dem Film noir zu spielen. In ihren Werken triumphiert das Kino auch deshalb so lässig über das Leben, weil es großartig scheint und: cooler than life.

■ „Film noir!“: bis zum 14. Oktober 2012, Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41, Frankfurt. Dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr