: Die Kino-Kapelle
Gespielt wird nur einmal in der Woche, dafür stets Ausgefallenes: Aus einer alten Seifenfabrik hat Carsten Knoop das wohl anspruchsvollste Klein-Kino Hamburgs gemacht: das Lichtmeß. Für Cineasten ist es zu einer festen Institution geworden
von Carolin Ströbele
Wer die schwere Eisentür des Lichtmeß-Kinos aufstößt und sich in den abgedunkelten Raum vortastet, hat das Gefühl, eine Kirche zu betreten: Die Fenster sind mit taubenblauen Samtvorhängen verhüllt, die hohe Decke läuft in der Mitte zu einem spitzen Giebel zusammen. Links und rechts vom Mittelgang stehen einfache Holzstühle. Nur dass statt eines Altars eine Leinwand am Ende des Raumes hängt. Und dort, wo normalerweise der Organist sitzen würde, befindet sich das Heiligtum des Kinos: der Vorführraum.
Carsten Knoop, Betreiber des Lichtmeß-Kinos, beschreibt sich in seiner Kurzbiografie gerne so: „Er wollte es schon immer allen zeigen, deshalb ist er Filmvorführer geworden.“ Gerade hat Knoop seinen 40. Geburtstag gefeiert, und wenn er zurückblickt, kann er sich durchaus auf die Schulter klopfen. Am 2. Februar 1991 – dem Feiertag Maria Lichtmeß – eröffnete er mit seiner Lebensgefährtin und acht weiteren Freunden seine, wie er sie selbst nennt, „Kinokapelle“ in der Altonaer Gaußstraße. Die von Punks besetzten Räume der ehemaligen Kosmetikfabrik Dralle gingen damals ins Eigentum der Mieterselbstverwaltung des Ottenser Werkhofs über. Für Knoop heute ein unschätzbarer Vorteil, da er quasi mietfrei in den Räumen residieren kann.
Das Filmvorführen habe er sich selbst beigebracht, erzählt der Mann, der mit seiner Igel-Frisur selbst aussieht wie ein etwas in die Jahre gekommener Punk: „Das lief nach dem Prinzip ‚trial and error‘“. Die ersten Projektoren kaufte die Kino-Truppe kurz nach der Wende „für ‘n Appel und ‘n Ei“ im Osten, erinnert er sich. „Das waren so genannte mobile Wanderprojektoren, mit denen die Vorführer in der DDR von Ort zu Ort gezogen sind.“
Heute ist das Lichtmeß mit drei professionellen Projektoren ausgestattet und gilt manchem Filmfreak als das vielleicht anspruchsvollste und unkommerziellste Hamburger Kino. Einmal pro Woche, meist donnerstags, steigt Knoop die Eisenleiter zu seinem Vorführraum hinauf und zeigt Dokumentar- und Experimentalfilme, veranstaltet Kurzfilmabende und Hamburger Premieren. Öfter möchte er es gar nicht machen, „denn so ist es für die Besucher etwas Besonderes, es hat Event-Charakter.“
Öfter könnte er es sich auch gar nicht leisten, denn „du zahlst immer drauf“. Rund 150 Euro pro Tag kostet ein Film im Schnitt beim Verleih, mit Steuer und Versand kommt man auf rund 250 Euro. Selbst wenn alle 89 Stühle im Zuschauerraum besetzt wäre, käme Knoop damit noch nicht in die Gewinnzone. Sein Geld verdient der 40-Jährige als Filmvorführer und Techniker beim Metropolis-Kino und dem Aufbau von Open-Air-Kinos. Zusätzliche Einnahmen bekommt er durch die Vermietung des Kinos für private Vorträge oder Filmvorführungen. Aber ums Geld ist es Knoop bei seinem Kino auch nie gegangen: „Ich freue mich, wenn die Leute nach der Vorstellung noch dableiben und über den Film reden“, sagt er.
Viele von ihnen sind „Stammgucker“. So wie der ältere Mann, der fast zu jeder Vorstellung kommt. „Er wohnt gegenüber und ist immer mindestens eine halbe Stunde vor der Vorstellung da“, erzählt Knoop. „Dann setzt er sich auf seinen Stammplatz rechts hinten und schaut sich meinen selbst gebastelten Trailer an, der immer läuft, bevor der richtige Film losgeht.“ Seit Knoop und seine Freundin Dorit Kiesewetter erfahren haben, dass ihr Lieblingszuschauer arbeitslos ist, bekommt er von ihnen einen Sonderrabatt.
Knoop und Kiesewetter, die sich beim Super-8-Film-Gucken kennen gelernt haben, drehen auch selbst Filme. Ihre beiden jüngsten Werke, zwei schräge Geschichten über die Spurensuche nach zwei Extrem-Bergsteigern und ein tischfußballspielendes Karnickel, wurden auf dem diesjährigen Hamburger Kurzfilmfestival ausgezeichnet. Knoop hat visuelle Kommunikation an der Hamburger HfbK studiert, aber was er über Film weiß, betont er, „habe ich durchs Filmeschauen gelernt“. Das fing bei ihm früher an als bei den meisten anderen Kindern, die in den Sechzigern in Deutschland aufwuchsen. „Mein Vater hatte den einzigen Radio- und Fernsehladen in unserem Ort“, erzählt Knoop, der aus der Nähe von Dortmund kommt. „Ich war sicher der einzige Junge weit und breit, der mit vier Jahren einen eigenen Fernseher im Zimmer hatte.“ Schon damals waren es die Filmklassiker, die ihn um den Schlaf brachten. „Nachdem ich King Kong gesehen habe, konnte ich zwei Wochen lang nicht schlafen“, sagt Knoop.
Heute hat er das Privileg, seine Jugendträume im eigenen Kino wieder auf die Leinwand zu holen: Im Sommer zeigt das Lichtmeß im Hofkino die rekonstruierte Originalfassung von King Kong.
Lichtmeß, Gaußstraße 25, ☎ 380 08 36, www.lichtmess-kino.de