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Archiv-Artikel

Peinlich unpeinlich

Entspannt Reaktion der Medien auf Make Love

Selten hat ein Buch die Medienleute so sehr betört wie „Make Love“. Das vermeintliche Aufklärungsbuch wird vom Stern in einer Folge nachgedruckt. „Das wohl coolste und unpeinlichste Buch über Sexualität“, meinte das Berliner Boulevardblatt B.Z., die Kollegen vom strengen Freitag garnierten ihre Besprechung mit einem riesigen pornografischen Foto aus dem Buch. Die Rezensenten gehen reihenweise in die Knie vor dem Text der Sexologin Ann-Marlene Henning und der Autorin Tina Bremer-Olszewski. Am nächsten dran freilich waren die Kollegen von Spiegel Online. Sie interviewten die witzige und kluge Sexologin Henning – und stellten keine einzige Frage über Kinder und Jugendliche. Richtig so, denn das Buch ist toll, explizit, aufklärerisch – aber es ist nix für Kids.

Jugendliche sagen erstaunlich oft Igittigitt – etwa, wenn Henning und Bremer-Olszewski in einem der Werbevideos für das Buch witzeln, dass die Jungs doch mal ihr eigenes Sperma kosten sollten. „Was soll das denn“, fragen 13-Jährige, „mit Löffelchen, oder was?!“ Selbst der Verlag Rogner & Bernhard macht implizit klar, an welche Zielgruppe sich Make Love richtet. Es kostet nämlich 23 Euro, kann also praktisch nur von Erwachsenen bezahlt werden und soll, so die Eigenwerbung, „auch von Erwachsenen gerne gelesen werden“.

Das vielleicht Erstaunlichste an dem Buch sind freilich die Bilder von Heji Shin, genauer die Sätze der koreanisch-deutschen Fotografin zu den erigierten Penissen und vaginalen Introspektionen, die sie (neben anderen Einstellungen) vornimmt, durchwegs mit erwachsenen Probanden versteht sich. Shin spricht, wie es kalifornische Pornoproduzenten in der Regel tun, wenn sie über ihre anstrengende Arbeit erzählen. „Mehr als der Drang, sich beim Sex zu zeigen, stand bei allen der Spaß im Vordergrund“, sagte die 35-Jährige der Welt. Freilich hätten „die Jungs unter dem größeren Leistungsdruck“ gestanden. „Sie mussten es letztendlich hinbekommen oder dachten das zumindest.“

Auf die Frage, ob das Buch nicht ein bisschen sehr stark an das pädophil durchwirkte Buch „Zeig mal!“ aus den 70er Jahren anknüpfe, sagt Shin: „Ich glaube, wir waren schon einmal weiter, was den entspannten Umgang mit Sexualität angeht.“ Womöglich hat Shin nicht wirklich mitbekommen, wie unentspannt jugendliche Sexualität in jüngster Zeit missbraucht wurde; und dass einer der Apologeten von „Zeig mal!“ einst der Sozialpädagoge Helmut Kentler war – einer jener Professoren, die unter dem Deckmantel einer emanzipatorischen Jugendarbeit/Sexualität von Kindern irgendwie auch Sex mit Kindern verstand. „Werden solche Beziehungen von der Umwelt nicht diskriminiert“, so Kentler, „dann sind um so eher positive Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung zu erwarten, je mehr sich der Ältere für den Jüngeren verantwortlich fühlt.“

Gegen „Zeig mal!“ wurden damals Indizierungsanträge gestellt. Make Love wird das wohl nicht passieren. Allerdings hat der Weltbild Verlag den Vertrieb abgelehnt – „weil Kinder und Jugendliche negativ beeinträchtigt werden können“. CHRISTIAN FÜLLER