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Archiv-Artikel

So ein Tag, so links wie heute

Die PDS ist in Jubelstimmung – nicht nur wegen der guten Umfragewerte. Gregor Gysi feiert die Umbenennung in „Linkspartei“ als historischen Schritt

„Hölderlin sagt: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch – wir sind das Rettende“, ruft Klaus Ernst

AUS BERLIN ROBIN ALEXANDER

Die PDS ist eine Partei mit Geschichtsbewusstsein. Genauer gesagt: Sie hat das Bewusststein, Geschichte zu machen. Stehend jubeln die Delegierten Gregor Gysi zu, der ihnen zugerufen hat: „Das ist ein historisches Stück. Wir können die Bundesrepublik verändern. Wir machen Geschichte!“ Dabei geht es nur um eine Umbenennung. Und nicht die Republik wechselt den Namen, sondern nur die Partei. 311 von 322 anwesenden Stimmberechtigten entscheiden sich dafür, dass die „Partei des Demokratischen Sozialismus“ in Zukunft „Die Linkspartei“ heißt und das Kürzel PDS nur noch als Zusatz führt, den jeder Landesverband weglassen kann.

Die Begeisterung kommt aus der Hoffnung: Der neue Name soll eine neue Perspektive eröffnen. Bei 12 Prozent sehen Umfragen die Linkspartei (siehe Kasten). Die Genossen glauben, sich dauerhaft im Bundestag etablieren zu können und mit der WASG fünfzehn Jahre nach der Einheit endlich eine nennenswerte Basis im Westen zu bekommen. Und natürlich: den Kandidaten Oskar Lafontaine.

Der ist nicht auf dem Parteitag, obwohl die Vereinigung von PDS und WASG doch eigentlich seine Idee war. Mit einem Interview in der Bild hat begonnen, was die Delegierten beinahe einstimmig beenden. Lafontaine mag der Initiator gewesen sein, aber der Star heißt bei der PDS immer noch Gregor Gysi. Er reißt die Delegierten und sich selbst mit – auch wenn er Lafontaine in Schutz nimmt. „Der Mann wird auf eine Art und Weise fertig gemacht, die mich an früher erinnert.“ Die Medien und die politische Konkurrenz hätten schlicht „Angst“ vor ihm. Zur Konkurrenz durch Arbeitskräfte aus dem Ausland sagt Gysi: „Ein Berliner Unternehmer soll einen polnischen Bauarbeiter einstellen, wenn er besser ist, aber nicht weil er billiger ist. Das ist Lohndumping!“

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Lafontaine vermeiden die PDS-Granden. Nur Katja Kipping aus Sachsen, die als junge stellvertretende Parteivorsitzende die zornig ausgetretene Angela Marquart ersetzen soll, kritisiert den Saarländer, indem sie ihn ergänzt: „Lafontaine sagt, die Linke ist für die Arbeitnehmer, für die Arbeitslosen und Rentner. Wir müssen hinzufügen: Auch für die, die auf der Flucht sind.“

Allein die in der PDS seit Jahren isolierte „Kommunistische Plattform“ und einige wenige SED-Veteranen argumentieren gegen die Umbenennung und fürchten die „Aufgabe einer sozialistischen Perspektive“ (Sahra Wagenknecht). Sie wollen die Abkürzung PDS nicht nur als disponiblen Zusatz erhalten, sondern weiterhin verbindlich im Parteinamen. Gysi kommt ihnen entgegen, indem er überraschend erklärt, die Bezeichnung „Linkspartei“ gelte „erst mal für zwei Jahre“, bei der erst dann anstehenden Vereinigung mit der WASG müsse neu entschieden werden, und dann möchte auch er „das Wort demokratischer Sozialismus drinlassen“.

Das Gros hier interessiert sich nicht mehr für den Sozialismus, sondern für Klaus Ernst. Der IG-Metall-Funktionär, SPD-Renegat und WASG-Vorstand spielt die Rolle seines Lebens – auf fremder Bühne, aber brillant. Niemand hier spricht so breit Bayrisch wie er, niemand trägt einen so teuren Anzug, niemand ist so gebräunt. Er spricht das Publikum mit „Genossinnen und Genossen“ an, bleibt aber in der Gedankenwelt eines Gewerkschafters: „Wer am Verfassungsgrundsatz der Koalitionsfreiheit rüttelt, der hat etwas mit Rechtsradikalen zu tun – und nicht wir!“ Die Delegierten amüsiert er mit dem Spruch: „Bei uns gibt es noch viele, die vor euch Angst haben. Aber deshalb müsst ihr doch keine Angst vor uns haben.“

Die meisten PDSler sehen an diesem Tag mit Ernst den ersten WASGler ihres Lebens. Und sind hingerissen: keine hysterischen Attacken. Keine Belehrungen. Keine Ismen! Stattdessen ein gut gelaunter Mann des Volkes, der schon mehr als einen Betrieb von innen gesehen hat. So können Westlinke also auch sein! Und die historische Perspektive, die an diesem Tag alle sehen, erkennt Ernst auch: „Hölderlin sagt: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Wir müssen erkennen: Wir sind das Rettende.“

Die eigentliche Auseinandersetzung mit ihren Parteifreunden in spe führt die PDS nicht auf diesem Parteitag. Wer tatsächlich für den Bundestag nominiert wird, entscheiden Landesparteitage. Die WASG als Organisation könnte die PDS bis dahin über Doppelmitgliedschaften, die Parteichef Lothar Bisky nebenbei anbot, längst domestiziert haben. Aber heute ist nicht der Tag des Streits um Statuten oder Mandate. Und auch nicht um Inhalte: Am Ausgang erhalten die Delegierten einen Programmentwurf: „Für eine neue soziale Idee“ steht auf dem DIN-A4-Heft: Es sind die Vorschläge des PDS-Vorstandes. Darüber abstimmen wird die Linkspartei aber erst im August: „Dann ist vielleicht auch Lafontaine dabei“, verspricht Gysi.

Heute ist der Tag, an dem die PDS ihren Namen aufgibt, um Geschichte zu machen. Die Tagungsleitung verabschiedet die demokratischen Sozialisten, die jetzt Linke heißen, mit den Worten: „Sagt euren Kindern, dass ihr dabei gewesen seid.“