: „Die rechte Gewalt nimmt zu, nicht die linke“
Neonazis der in Berlin verbotenen Kameradschaften Tor und Baso tummeln sich nun im benachbarten Potsdam, sagt Opferberater Tamás Blénessy. Dort unterschätze die Polizei nach wie vor die Gefahr, die von der rechten Szene ausgehe
taz: Herr Blénessy: Die Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Linken in Potsdam und Berlin spitzen sich dramatisch zu. Woher kommt diese neue Qualität der Gewaltbereitschaft?
Tamás Blénessy: Ich weiß nicht, ob man allgemein von einer neuen Qualität der Gewaltbereitschaft sprechen kann. Die rechte Gewalt hat zwar zugenommen, nicht aber die linke. Das zeigt auch die Polizeistatistik.
Aber Anfang Juni gab es einen Übergriff auf einen Neonazi – von linken Jugendlichen, die seitdem unter Mordverdacht stehen?
Das wird ihnen vorgeworfen, ist aber noch nicht bewiesen. Dass sich linke Jugendliche mit Rechten schlagen, wenn sie sich auf der Straße begegnen, ist nicht neu. Das wird nur von der Polizei als neue Qualität dargestellt.
Die Polizei scheint auf beiden Seiten härter durchgreifen zu wollen.
Sie spricht von Gewaltspirale. Dabei ist diese Begriffswahl schon falsch. Denn damit schaut sie nicht mehr nach den Ursachen der einzelnen Gewalttaten, sondern suggeriert: Da gibt es rechte Jugendgruppen, dort gibt es linke, und die bekriegen sich.
Wie ist es dann?
Wenn man Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Jugendlichen immer nur als Bandenkonflikte darstellt, geht einem der Blick für die Ursachen verloren. Der allgemeine Anstieg von rechtsextremem Gedankengut wird dabei ausgeblendet. In Potsdam sind rechte Jugendliche längst Mainstream.
Lässt sich damit die Zunahme der Gewalt erklären?
Da spielen andere Faktoren sicherlich auch eine Rolle. Wir hatten hier in Potsdam in den vergangenen Monaten mehrere Neonazi-Prozesse – für viele rechte Sympathisanten Anlass, nach Potsdam zu kommen. So tummeln sich hier seit einiger Zeit auch Mitglieder der Kameradschaften Tor und Baso, die in Berlin seit dem Verbot einem immensen Verfolgungsdruck ausgesetzt sind. Hinzu kommt: Die Polizei unterschätzt nach wie vor die Gefahr, die von der Potsdamer rechten Szene ausgeht.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat in den vergangenen Monaten mehrere Kameradschaften verboten.
Da ist doch Berlin ein gutes Beispiel dafür, wie wenig Organisationsverbote bewirken. Denn nun kommen sie zu uns.
Wie kann Schönbohm dann die Gewalt eindämmen?
Sobald Neonazis im öffentlichen Bild auftauchen, ist die Angst da. In Potsdam sind sie selbst auf öffentlichen Festen der Stadtwerke aktiv. Im Volkspark in Potsdam können sie Bier saufen und anschließend Linke und Migranten einschüchtern. Mit Aufenthaltsverboten könnte man sagen: Euer Strafregister und eure rechtsextreme Gesinnung sind bekannt, ihr dürft nicht hierher.
Sollte Schönbohm nicht gegen diese Anti-Antifa-Listen im Internet vorgehen?
Die rechtlichen Möglichkeiten sind gering, weil die Seiten anonym betreut werden und die Server im Ausland stehen. Die Polizei ist informiert und tut angeblich ihr Bestes. Was den Erfolg angeht, bin ich skeptisch.
INTERVIEW: FELIX LEE