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Archiv-Artikel

„Es geht immer um Sex“

Im VW-Skandal geht es längst nicht mehr um Scheinfirmen und Gefälligkeiten. Viel zu kompliziert. Was die Öffentlichkeit erregt: Es geht um Orgien, Prostitution und Sex. Die taz sprach mit der Bordellbetreiberin Felicitas Schirow über Normalität und Skandale

INTERVIEW NATALIE TENBERG

taz: Frau Schirow, der VW-Skandal hat sehr schnell eine sexuelle Dimension bekommen: Manager und Prostituierte.

Felicitas Schirow: Das ist für mich kaum fassbar. Wenn man überlegt, wie viel Aufwand nötig ist, um Scheinfirmen zu gründen, dann ist das für mich viel skandalöser, wenn ich das schon mal in den Mund nehmen will, als die Dienstleistung von Prostituierten in Anspruch zu nehmen. Scheinfirmen zu gründen, dazu gehört kriminelle Energie, während Dienstleistung von Prostituierten in Anspruch zu nehmen ein ganz normaler Akt ist.

Aber die Öffentlichkeit stürzt sich darauf, ist doch die Prostitution in einer Ambivalenz verhaftet – verpönt, aber trotzdem normal.

Darum geht es ja jetzt. Firmen haben Ausgaben, die sie nicht offiziell angeben können, aber begleichen müssen. Dann ist die Frage: Woher kommt dieses Geld? Es geht gar nicht um die Prostitution, aber das ist immer ein pikantes Thema. Leute können sich darunter viel mehr vorstellen, als wenn sie hören, da sind Scheinfirmen gegründet worden. Das finde ich persönlich viel schlimmer.

Und der Bordellbesuch als Skandalelement?

Sex ist ja eine ganz intime Sache. Sie sehen ja, wovon die ganzen Skandalblätter leben: Es geht immer um Sex. Es geht ja noch nicht einmal um die Prostitution, da wird ja für Sex bezahlt, sondern es geht um wer mit wem. Bei Prostitution ist dann immer etwas Anrüchiges dabei, die Männer haben ja auch Ehefrauen zu Hause, und dann hat es etwas mit Fremdgehen zu tun. Das ist dann besonders skandalös. Menschen lesen immer besonders gerne die Sexgeschichten von anderen Menschen.

Hat unsere relative Offenheit heute mit der fortschreitenden Akzeptanz von Prostitution zu tun, oder ist das noch immer getrennt zu sehen?

Das kann man parallel sehen. In den 60ern fingen Frauen mit dem Aufbruch von Emma an, ihre BHs zu verbrennen. Der Wandel ist unbeschreiblich. Die Prostitution hat unheimlich viele Gesichter, beispielsweise Zwangsprostitution, aber die normale, in Deutschland lebende und anschaffende Frau sieht das als ihren Job mit relativ geregelten Arbeitszeiten. Es passiert bei uns in den Zimmern nichts weiter als in anderen Schlafzimmern auch. Der Unterschied ist nur, dass die Frau Geld dafür bekommt und der Mann Geld dafür bezahlt.

Ist das nicht auch ein feministischer Ansatz, dass Frauen mit ihrem Körper Geld verdienen können?

Ich bin der Meinung, jeder muss das Recht haben, über seinen Körper zu entscheiden. Wenn eine Frau sagt, sie hat da kein Problem mit, warum mischen sich dann andere ein? Viele Menschen verdienen ja mit ihrem Körper Geld, das ist ja auch nicht skandalös. Bei uns geht das in den Intimbereich hinein. Aber dieses Wort intim ist ja das, was die Menschen neugierig macht.

Aber sind wir heute nicht viel weiter?

Heute sind wir so weit, dass wir sagen, was eine Prostituierte macht, das ist eine Dienstleistung, und das haben viele Menschen schon erkannt. Man beutet in der Regel niemanden damit aus.

Das hört sich ja an, als sei die Prostitution von einem Tabu befreit worden. Aber wenn dieses Tabu wegbricht, bricht dann auch möglicherweise ein Kundenstamm weg?

Die Frage ist mir sehr oft gestellt worden und ich muss sie glatt verneinen. Wenn der Mann zur Prostituierten geht, selbst wenn alles gesetzlich geregelt ist, macht er ja etwas Verbotenes, nicht weil er ins Bordell geht, sondern weil er zu Hause jemanden hat, der das nicht wissen darf. Daran hat sich sicherlich nichts geändert.

Mit der Inanspruchnahme einer Prostituierten verstößt man also gegen eine Übereinkunft in der Familie – und das macht es so pikant?

Klar. Früher war es vielleicht aufregender mit aufgestelltem Mantelkragen sich ins Bordell zu schleichen, aber das kann ja heute immer noch so sein. Es will ja noch immer nicht jeder Mann dazu stehen, dass er ins Bordell geht. Daran hat sich ja gar nichts geändert. Was andere von einem denken und wie sie damit umgehen, ist noch immer wichtig, deswegen will man nicht erwischt werden, und deswegen hat es noch immer den Reiz des Verbotenen.

Die Männer haben dann ja auch Angst, erpressbar zu werden.

Das glaube ich nicht. Ich würde es eher als bloßgestellt bezeichnen. Erpressbar ist kaum jemand. Derjenige, der ins Bordell geht, der weiß schon, was er tut. Es gibt aber Männer, die sind prominent oder einflussreich, die haben Familie, da darf es wirklich niemand wissen. Aber nicht aufgrund der Moral, sondern weil sie sonst Probleme mit der Familie kriegen. Früher war es ja wirklich gefährlich, da konnte man ja gekündigt werden. Prominente gehen übrigens nicht ins Bordell, sondern bestellen sich heimlich jemanden aufs Hotelzimmer.

Gibt es unter Prostituierten einen Ehrenkodex?

Ehrenkodex ist schon das richtige Wort, einen Verschwiegenheitsparagrafen. Wenn Prostituierte aber einen Promi kennen gelernt haben, dann reden sie schon gerne untereinander darüber. Wenn ich aber dazu Zitate von Prostituierten in der Bild lese, dann frage ich mich schon, wer weiß? Das ist natürlich für unsere Branche schlimm, so etwas zu lesen. Wo haben sie die denn her, ist dann immer der erste Gedanke. Aber: Wie selten kommt so etwas an die Öffentlichkeit? Wenn Sie wissen, wie oft die sexuelle Dienstleistung in Anspruch genommen wird und auch von prominenten Persönlichkeiten, dann ist es eigentlich ein Zeichen dafür, wie verschwiegen die Frauen sind.

Wie sieht es in Deutschland mit der Doppelmoral aus?

Das ist nicht mehr so schlimm, zumindest in Bezug auf Prostitution. Es ist ja so: Man hat nie etwas gegen etwas, sofern es nicht vor der eigenen Haustür und von dem eigenen Mann geschieht.

Gehen Manager und Politiker anders mit der Prostitution um als andere?

Die denken da mehr drüber nach. Jeder hat da so seine eigene Einstellung zu. Für manch einen ist das ein regelmäßiger Gang, für den anderen ist das ein aufregendes Erlebnis. Wie Männer das nach außen tragen, hängt auch von ihrem sozialem Umfeld ab.

Glauben Sie, dass es in wirtschaftlich schlechteren Zeiten ein größerer Aufreger ist, wenn jemand im Bordell war? Nicht nur wegen der sexuellen Dienstleistung, sondern weil er Geld ausgegeben hat?

Nein, die Gesellschaft denkt ja noch immer in dem Klischee, dass der Mann das nötig hat. Dann erntet er wahrscheinlich eher Mitleid. Der moralische Aspekt, dass man das Geld für etwas anderes ausgeben könnte, kommt erst auf, wenn Leute sich Gedanken darüber machen, dass er das Geld unterschlagen haben könnte. Bei VW hat dann jeder kleine Mitarbeiter seinen Beitrag dazu geleistet, dass das Geld im Bordell verschwendet wird. Es geht ja um das eigene Geld. Wenn jetzt ein Manager einen Kunden einlädt und dafür relativ viel Geld ausgibt, aber man das in Relation zu den sonstigen Kosten einer großen Firma setzt, das fällt überhaupt nicht ins Gewicht. Das ist moralisch verwerflich, aber vielleicht wird dadurch ein Vertrag abgeschlossen, der der Firma und jedem einzelnem Mitarbeiter zugute kommt.